Der Hund im Kuehlschrank
Aufgelesenes, Erlebtes oder auch frei Erfundenes. All dies und noch viel mehr kann Ausgangspunkt für spannendes Erzählen sein. Es gibt unendlich viele Quellen, aus denen sich ein roter Faden für einen guten Gesprächsstoff entspinnt. Die Kunst ist, mit einem geschulten Sinn für Qualität Erzählenswertem in sich und um sich herum auf die Spur zu kommen und dies beim Wiedergeben so zu formen, dass man Freude daran hat und deshalb auch andere damit begeistern kann.
Erzählen als Selbsterfahrung
Richtig gut erzählen kann nur, wer sich auf sich selbst besinnt. Was habe ich erlebt? Was hat mich berührt oder begeistert? Was macht mich aus? Wofür schlägt mein Herz? Was will ich weitergeben? Ohne eine persönliche Verbindung zu einer Geschichte bleibt diese langweilig und ohne Esprit. Die Aufmerksamkeit muss also zunächst von außen nach innen wandern: hin zu den eigenen Bildern und Gefühlen. Erzählen ist damit immer auch ein Stück Selbsterfahrung. Es geht darum, den Kern einer Geschichte zu finden, Bilder entstehen zu lassen, Resonanz zu spüren, in Kontakt zu kommen mit Figuren, Gegenständen und Landschaften, den Rhythmus der Geschichte zu fühlen und nicht zuletzt die Erzählfreude in sich zu wecken. Ein guter Erzähler kann über (fast) alles sprechen, man hört ihm gern zu. Das Geheimnis besteht in einer doppelten Aufmerksamkeit und Bewusstheit: in einer Verbindung zu sich selbst, zur eigenen Bilder-und Gefühlswelt und in einer Verbindung zum Zuhörer. Nur im lebendigen Wechselspiel zwischen Ich und Du, zwischen Erzähler und Zuhörer entfaltet das Wort seine ganze Kraft.
Auf spielerische Weise möchte ich Sie nun mitnehmen auf einen Weg zu lebendiger Kommunikation. Geschichten werden uns begleiten und auf ihre Weise Lehrmeister sein. Werfen Sie zunächst noch einmal einen Blick in das Schaufenster der »Geschichtenpraxis« (siehe S. 25). Dort können Sie wie gesagt einiges entdecken, was Sie auf den folgenden Seiten erwartet. Fühlen Sie sich eingeladen einzutreten und lassen Sie sich überraschen von der Verwandlungskraft des Froschkönigs, der Magie verdrehter Namen, von geheimnisvollen Schlüsseln, Phantasiewürfeln, indianischen Redestäben, fliegenden Teppichen, Wörter-Büchern, einem Hund im Kühlschrank – und nicht zuletzt von vielen roten Fäden, aus denen am Ende jede Leserin und jeder Leser ihr bzw. sein eigenes Netz gelingender Erzählkommunikation weben möge.
Warum Phantasie so wichtig ist
»Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.«
(Albert Einstein)
Warum Phantasie so wichtig ist
Die Zunge des Erzählers Eine Geschichte über die Kraft der Imagination
Es lebte einmal ein König, der hatte ein riesiges Reich. Es erstreckte sich weit nach Nord, Süd, Ost und West. In der Mitte aber stand das Königsschloss. Täglich sandte der König seine Boten in alle Himmelsrichtungen, damit sie ihm die Neuigkeiten aus seinem großen Reich zutragen sollten. Doch das dauerte immer sehr lange – so groß war das Reich –, und der König wurde ungeduldig. Ich will einen Wettbewerb ausrufen, dachte er bei sich, und den schnellsten Boten meines Landes ausfindig machen. Er soll dann in Zukunft mein erster Bote sein. Und so geschah es. Schließlich blieben am Ende drei Boten übrig, die alle behaupteten, dass sie die schnellsten im Reiche seien.
»Ich bin so schnell wie ein Hase!«, rief der erste.
»Ich bin so schnell wie der Wind!«, entgegnete der zweite.
»Und ich bin so schnell wie die Zunge eines Geschichtenerzählers! «, sagte der dritte.
»Wir werden sehen«, antwortete der König. »Folgende Aufgabe sollt ihr erfüllen: Bringt mir von der Erde am Tor des Südens meines Reiches. Wer zuerst wieder hier ist, hat gewonnen. Auf die Plätze, fertig, los!« Da flitzte der erste Bote los, flink wie ein Hase. Und der zweite sauste davon wie der Wind. Der dritte Bote aber blieb vor dem König stehen, verneigte sich tief und sprach: »Eure Majestät, hier ist sie schon, die Erde vom Tor des Südens. Seht nur, sie ist trocken und staubig, denn lange hat es
dort nicht mehr geregnet. Sie ist voller Sandkörnchen, die von der nahe gelegenen Wüste herüberwehen, und sie trägt den Duft der trockenen Kräuter, die im kargen Boden wurzeln . . .«
Und der Bote erzählte so anschaulich von der Erde des Südens, dass der König meinte, im selben Moment am südlichsten Punkt seines Reiches zu stehen und alles mit eigenen Augen anzusehen. »Ja«, rief er schließlich,
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