Der Hund im Kuehlschrank
hier, steht ein Baum, der ist so hoch, dass ein Vogel zehn Jahre fliegen muss, um oben anzukommen.« – »Du lügst!«, ruft da der Reisende erbost. »So einen großen Baum gibt es nicht!« – »Ach«, sagt da der andere, »und woraus ist dann der Mast deines Schiffes gemacht?«
Kommunikation wird lebendig, wenn sich der Zuhörer wundert, wenn er empört »Das gibt es doch nicht!« ruft, überrascht auflacht oder vor Schreck den Atem anhält. Bei den traditionellen Geschichtenerzählern, beispielsweise den Griots in Afrika, ist es bis heute üblich, Geschichten mit lauten Zwischenrufen zu beleben. »Aha!«, rufen die Menschen, wenn der Erzähler ihnen eine Neuigkeit mitteilt. »O ja!« oder »O nein!«, rufen die Leute, je nachdem, was der Held der Geschichte gerade erlebt. Sie fiebern mit, sie tauchen ein, sie empfinden das Geschehen mit allen Sinnen. Kommunikation ist dann ein lebendiges Miteinander, eine lustvolle, spielerische Begegnung, kein nüchterner Informationsaustausch.
Von der äußeren zur inneren Quelle
Stellen Sie sich folgende Szene vor: Es ist Samstagnachmittag. In einem kleinen Café versammeln sich etwa fünfundzwanzig Erwachsene. Sie bestellen Kaffee und Kuchen, lehnen sich gemütlich in ihren Stühlen zurück und plaudern über dies und das. Nach einer Weile setzt sich eine Frau mitten unter die Gäste, etwas erhöht auf einen Barhocker, dimmt das Licht, blickt in die Runde – und beginnt mit einer Geschichte. »Es war einmal oder war auch nicht, aber wenn es nicht gewesen wäre, könnte ich euch nicht davon erzählen«, leitet sie das Geschehen ein.
Dann spricht sie von altersschwachen Königen, kraftvollen Heldinnen und Helden, feuerspeienden Drachen, bösen Hexen und listigen Zauberern, sie erzählt von Engel und Teufel, von Himmel und Hölle, von Feuer und Wasser, sie erzählt von einem Pechvogel, dem im Leben alles misslingt, und von einem Glückskind, bei dem sich alles zum Guten wendet, sie erzählt von Schicksalsschlägen und überraschenden Helfern am Wegesrand. Sie erzählt Geschichten fern vom Alltag und doch mitten aus dem Leben. Und es dauert nur wenige Atemzüge, bis die Zuhörer in eine andere Welt versunken sind. Jeder für sich mit einem Film innerer Bilder im Kopf, und alle zusammen, verbunden durch den Raum, in dem die Geschichte lebendig wird.
Eine solche Erzählsituation ist nährend und schön. Menschen treffen zusammen, in einem geschützten Rahmen, ohne zwischengeschaltete Medien. Einer erzählt, die anderen hören zu. Dabei können natürlich die Gesprächsthemen und die Sprecher-und Hörerrollen wechseln. Es geht schlicht und einfach um das Vergnügen, Geschichten, ein Erlebnis oder Erfahrungen miteinander
zu teilen. Am Ende nimmt jeder das mit nach Hause, was ihn persönlich berührt hat oder mit seinem Leben in Resonanz geraten ist.
Eine Geschichte ist ein offenes Angebot, das so viele Zugänge bietet, wie Menschen im Raum sind. Ein solches Angebot ohne pädagogischen Zeigefinger mag ungewohnt erscheinen – klare Zielsetzung und Effizienz stehen in unserem täglichen Miteinander an oberer Stelle. Doch in einer Zeit voller Informationen und Erklärungen, in einer Zeit der Orientierung an äußeren Quellen brauchen wir als Gegenbewegung wieder mehr Sinn für gute Geschichten und das Wissen, wie man sie lebendig erzählt – wir brauchen die Orientierung an inneren Quellen. Wir brauchen wieder mehr Unmittelbarkeit zwischen Sprecher und Hörer, sodass Gesagtes direkt ankommen und wirken kann. Dafür sind narrative Vorbilder wichtig, also gute Erzähler, die wissen, was die Qualität einer Geschichte ausmacht und wie man sie gekonnt unter die Leute bringt. Das ist der Kern bewusster Kommunikation. Denn eine Geschichte spricht für sich. Sie muss nicht analysiert werden. Sie entführt ganz schlicht mit Worten und Bildern in eine imaginäre Welt und ist gleichzeitig mitten im Hier und Jetzt verwurzelt. Kindern erzähle man Geschichten zum Einschlafen, Erwachsenen, damit sie aufwachen – so formuliert es der Erzähler Jorge Bucay. Märchen und Geschichten sind nicht von gestern oder »nur« etwas für Kinder. Sie sind ein Schatz, den es immer wieder neu zu heben gilt.
Wenn ich hier von Geschichten spreche, meine ich damit eine ganze Bandbreite an Stoffen. Also nicht nur mündlich oder schriftlich überlieferte Texte wie Märchen oder Mythen, sondern
genauso persönliche Erinnerungen, Reiseerlebnisse, Beobachtungen aus dem Alltag, Gehörtes,
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