Der Hundeflüsterer - Thriller (German Edition)
anzüglichen Blicke des langhaarigen Mannes zu ignorieren, neben den sie sich an einen freien Computer gesetzt hatte.
Sie bereute es, das geblümte dünne Kleidchen ohne BH angezogen zu haben, aber jetzt war es zu spät. Unruhig kratzte sie mit ihren abgewetzten Sandaletten über den Boden, stieß an ihren schwarzen Nylonrucksack, der an dem Tischbein lehnte und den ein großer bunter Greenpeace-Aufkleber schmückte. In dem Internetcafé war es drückend schwül und Ruth spürte, wie ihr der Schweiß die Achseln hinunterlief, aber sie wollte nicht die Arme heben und sich Luft zufächeln, um ihrem Nachbarn nicht noch mehr Einblicke zu gönnen.
Einige Stunden zuvor hatte sie in einer der wenigen noch intakten Telefonzellen am Bahnhof Zoo einen Anruf erhalten. Das Gespräch war relativ kurz gewesen, aber die Informationen, die sie erhalten hatte, waren überaus wichtig, besonders der Hinweis, dass sie jetzt aktiv werden musste. Mit der U-Bahn war sie zunächst kreuz und quer durch die Stadt gefahren, um die Besorgungen zu erledigen, die man ihr aufgetragen hatte. Dann war sie in der brütenden Hitze zu Fuß bis zu dem Internetcafé in der Oranienstraße gelaufen, das sie öfters für Recherchen benutzte. Vor dem Eingang war ihr der Aufkleber auf einem schwarzen Bike aufgefallen und sofort hatte sie einen kreativen Einfall gehabt.
Mit ihrem fotografischen Gedächtnis prägte sich Ruth neben den billigen Pensionen auch alle wichtigen Clubs und Hotspots von Saint-Tropez ein, rief dann eine Website mit den europäischen Zugverbindungen auf. Auch hier machte sie sich keine Notizen, sondern merkte sich die für sie in Frage kommenden Abfahrtszeiten auswendig. Als sie einen passenden Zug herausgefunden hatte, reservierte sie einen Türplatz in der zweiten Klasse und klickte die Aufforderung, ein Online-Ticket zu kaufen weg, sie wollte lieber knapp vor der Abfahrt am Schalter bar bezahlen.
Anschließend surfte sie planlos durch verschiedene Seiten und Plattformen, vergewisserte sich durch einen unauffälligen Seitenblick, dass ihr aufdringlicher Nebenmann mit einer Recherche beschäftigt war und sie nicht mehr beachtete. Jetzt loggte sie sich schnell mit ihrem Nickname in eine Beiruter Onlinezeitung ein und scrollte durch die archivierten Beiträge der vergangenen beiden Wochen. Bald wurde sie fündig und holte sich drei Artikel auf den Bildschirm. Der erste berichtete vom mysteriösen Verschwinden des deutschen Rechtsanwalts Robert Thalberg, der nächste brachte die mehr als hilflose Theorie des Beiruter Polizeichefs über den Fall und der letzte Artikel war nur mehr eine fünfzeilige Meldung, in der stand, dass man die Leiche des vermissten deutschen Rechtsanwalts Thalberg auf einer Müllkippe im Hamas-Gebiet am südlichen Stadtrand von Beirut gefunden hätte. Die näheren Umstände würden in enger Zusammenarbeit mit der deutschen Botschaft noch untersucht, aber ein in die Haut des Opfers geritztes Tattoo ließ Rückschlüsse auf eine radikal fundamentalistische Gruppierung zu, die in der Vergangenheit schon öfters Europäer entführt und getötet hatte.
Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen klickte Ruth das Fenster weg, strich sich über ihre Nase, trank noch den letzten Schluck lauwarmes Mineral aus der PET-Flasche, wischte mit dem Saum ihres Kleides unauffällig über die Maus und die Computertastatur, schnappte sich ihren Rucksack und verließ mit einem aufreizenden Hüftschwung das Internetcafé, ohne sich umzudrehen.
Draußen war es noch schwüler als im Café, die Luft flimmerte in der grellen Sonne und über den Häusern waren am Horizont schon dunkle, sich rasch auftürmende Wolken eines nahenden Gewitters zu erkennen. Unschlüssig stand Ruth vor dem Inernetcafé, studierte die Poster, die ihr gänzlich unbekannte Bands ankündigten, und bewunderte das schwarze Karbonbike mit dem Aufkleber eines Kurierdienstes, das mit einem schweren Stahlschloss an einen Laternenmast gekettet war.
„Na, gefällt dir mein Bike? Willst du vielleicht mal eine Runde damit drehen?“ Plötzlich stand der Typ aus dem Internetcafé vor ihr und legte seine Hand auf den schwarzen Brooks-Sattel seines Bikes. Hier draußen im hellen Tageslicht sah er älter aus, seine langen, zu einem Zopf gebundenen Haare waren schon mit einigen grauen Strähnen durchzogen und er war sehr dünn und drahtig.
„Warum nicht!“ Ruth legte den Kopf schief, kniff die Augen zusammen und betrachtete den Mann ungeniert von oben bis unten. „Und
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