Der Hundeflüsterer - Thriller (German Edition)
„Kommen viele Mädchen hierher?“, fragte sie und ging neugierig auf das Bett zu, das hinter einem wackeligen, mit Zeitungspapier beklebten Paravent stand und aus der Zeit gefallen zu sein schien. Es hatte hohe Beine und mottenzerfressene Vorhänge aus blutrotem Samt. Ruth blieb vor dem Bett stehen und starrte es lange an. So ein Bett hatte sie schon einmal gesehen, als kleines Mädchen in einem zerbombten Haus in der Bekaa-Ebene, aber damals lagen ein Mann und eine Frau blutüberströmt auf der Matratze und die Vorhänge wehten träge im Wind.
„Hast du etwas zu trinken?“, rief sie, räusperte sich und ließ die Erinnerung verschwinden.
Gerade als der Mann antworten wollte, zerriss ein mächtiger Donner die Stille und das ganze Haus schien zu zittern. Doch noch immer regnete es nicht. Obwohl der Raum hoch war, war es drückend schwül. Ruth kickte sich ihre Sandaletten von den Füßen und ging barfuß weiter durch das Atelier, dachte nach, zog sich das dünne geblümte Kleid über den Kopf und warf es auf das schwarze Fahrrad, das der Mann an die Wand gelehnt hatte. Nur mit einem Slip bekleidet, nippte sie an dem Drink, den ihr der Mann reichte, bevor er sich auf das Bett setzte. Es war türkischer Raki mit einem sehr intensiven Nachgeschmack. Ruth hatte davon schon öfters probiert. Langsam ging sie mit ihrem Drink auf den Mann zu.
„Zieh dich aus!“, sagte sie mit einer samtweichen Stimme und ließ gekonnt ihren Slip nach unten gleiten. Dann legten sich beide schweigend in das Bett, das Ruth plötzlich nur noch an den sinnlosen Tod und vor allem an entsetzliche Armut erinnerte, und der Mann wollte gleich zur Sache kommen.
„Nicht so hektisch“, flüsterte Ruth. „Warte, ich habe eine Überraschung für uns.“ Sie rollte sich vom Bett und holte eine dünne Lederschnur aus ihrem Rucksack. „Ich schlinge dir die Schnur um den Hals und ziehe fest zusammen, kurz bevor wir kommen! Das magst du doch, oder?“
Natürlich bemerkte sie seinen Blick, der zwischen ängstlich und geil hin und herpendelte, doch dann nickte er zustimmend. Männer sind doch so einfach zu durchschauen, dachte Ruth, setzte sich auf den Mann und fesselte seine Arme mit bunten Tüchern an das Bettgestell.
Ehe der Mann realisierte, was geschah, sprang Ruth von seinem Bauch, huschte durch die mottenzerfressenen Vorhänge blitzschnell zum Kopfteil des Bettes und zog die Lederschnur so fest zusammen, dass der Mann mit seinen Beinen panisch um sich schlug und nur noch krächzende Geräusche von sich gab. Doch irgendwie gelang es ihm, eine Hand freizubekommen und Ruth musste ihm einen kräftigen Faustschlag mitten ins Gesicht verpassen, um seinen Widerstand zu brechen. Der laute Donner verschluckte das Gebrüll des Mannes, der nicht sterben wollte. Jetzt konnte sie aber die Lederschnur nicht mehr so fest zusammenziehen wie zuvor und der Mann schnappte wieder hektisch nach Luft. Mit seiner freien Hand versuchte er Ruth zu erwischen, konnte sich aber nicht umdrehen, da ihn die Lederschnur um den Hals fest auf das Bett drückte. Doch er wollte sich nicht in sein Schicksal fügen und deshalb musste Ruth ihm wieder die Faust in sein Gesicht rammen, so wie sie es gelernt hatte. Schlag auf Schlag, bis seine Nase mit einem lauten Knirschen einknickte, zu einem blutigen Brei wurde. Trotzdem versuchte er in Todesangst, sich die Schnur mit der Hand vom Hals zu reißen. Als die nächsten Donnerschläge das Gebäude erzittern ließen, heulte Ruth vor Wut auf wie ein Wolf und zog das Lederband mit beiden Händen enger, so lange, bis der Mann nur noch hektisch mit den Beinen und seinem freien Arm zappelte und dann jäh erschlaffte.
Keuchend sank sie auf den Boden, hörte über sich den Regen auf das Dach prasseln, der sofort überall durch die Decke tropfte und bereits große Pfützen auf dem Parkett gebildet hatte. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Mann tatsächlich tot war, wusch sie sich das Blut von ihrer Hand, ging nackt zum Schrank und holte die schwarze Kurieruniform und die große Tasche mit dem Logo des Kurierdienstes hervor. Dann streifte sie sich das dünne Blumenkleid über ihren durchtrainierten Körper, zog den Slip an, schlüpfte in ihre Sandaletten, packte die Uniform in die Kuriertasche, nahm Tasche und Rucksack über die Schulter und setzte sich auf das schwarze Karbonbike.
Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, holperte sie auf dem Bike die Treppe in dem düsteren Treppenhaus nach unten. Anschließend fuhr sie von
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