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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Marter? Vielleicht gibt es auch einen Menschen, dem man das Todesurteil vorgelesen hat, den man sich hat quälen lassen, und zu dem man dann gesagt hat: ›Geh hin; du bist begnadigt!‹ Ein solcher Mensch könnte vielleicht erzählen. Von dieser Qual und von diesem Schrecken hat auch Christus gesprochen. Nein, so darf man mit einem Menschen nicht verfahren!«
    Obgleich der Kammerdiener all dies nicht hätte so ausdrücken können wie der Fürst, verstand er doch, wenn auch nicht alles, so doch gewiß die Hauptsache, was sogar an seiner gerührten Miene wahrzunehmen war.
    »Wenn Sie so sehr wünschen zu rauchen«, sagte er, »so würde das vielleicht auch gehen; nur müßten Sie es sehr bald tun. Denn er könnte auf einmal nach Ihnen fragen, und dann wären Sie nicht da. Sehen Sie, dort unter der kleinen Treppe ist eine Tür. Gehen Sie in die Tür hinein, rechts ist ein Kämmerchen, da können Sie rauchen; nur müssen Sie die Luftklappe aufmachen, denn das Rauchen ist hier doch nicht in der Ordnung.«
    Aber der Fürst kam nicht mehr dazu, fortzugehen und zu rauchen. In das Vorzimmer trat ein junger Mann mit Papieren in der Hand. Der Kammerdiener nahm ihm den Pelz ab. Der junge Mann schielte nach dem Fürsten hin.
    »Der Herr da sagt mir, Gawrila Ardalionowitsch«, begann der Kammerdiener in vertraulichem, beinahe familiärem Ton, »daß er ein Fürst Myschkin und ein Verwandter der gnädigen Frau sei; er ist mit dem Zug vom Ausland gekommen, mit einem Bündelchen in der Hand, aber ...«
    Das Weitere konnte der Fürst nicht verstehen, da der Kammerdiener zu flüstern anfing. Gawrila Ardalionowitsch hörte aufmerksam zu und betrachtete den Fürsten mit großem Interesse; schließlich hörte er auf zuzuhören und trat ungeduldig näher an ihn heran.
    »Sie sind Fürst Myschkin?« fragte er sehr freundlich und höflich.
    Es war ein recht netter junger Mann, ebenfalls etwa achtundzwanzig Jahre alt, schlank, blond, von Mittelgröße, mit einem kleinen Napoleonbärtchen und einem verständigen, sehr hübschen Gesicht. Nur war sein Lächeln bei all seiner Liebenswürdigkeit ein wenig zu schlau; die Zähne traten dabei ein wenig zu perlenartig heraus; der Blick war trotz all seiner Heiterkeit und anscheinenden Offenherzigkeit etwas zu scharf und forschend.
    Der Fürst hatte die Empfindung: »Wenn er allein ist, sieht er wahrscheinlich ganz anders aus und lacht vielleicht nie.«
    Der Fürst setzte ihm alles, was er in der Geschwindigkeit konnte, auseinander, fast dasselbe, was er schon vorher dem Kammerdiener und noch früher seinem Reisegefährten Rogoschin auseinandergesetzt hatte. Gawrila Ardalionowitsch schien unterdessen in seinem Gedächtnis etwas zu suchen.
    »Haben Sie nicht«, fragte er, »vor einem Jahr oder vor noch kürzerer Zeit einen Brief, wenn mir recht ist, aus der Schweiz an Lisaweta Prokofjewna geschickt?«

    »Ganz richtig.«
    »Dann kennt man Sie hier und wird sich Ihrer sicherlich erinnern. Sie wollen zu Seiner Exzellenz? Ich werde Sie sofort melden ... Er wird gleich frei sein. Nur sollten Sie ... Sie sollten bis dahin ins Wartezimmer gehen ... Warum ist der Herr hier?« wandte er sich in strengem Ton an den Kammerdiener.
    »Ich sagte schon, der Herr wollte selbst nicht ...«
    In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers, und ein Offizier mit einem Portefeuille unter dem Arm kam laut redend und sich verabschiedend heraus.
    »Du bist hier, Ganja 1 ?« rief eine Stimme aus dem Arbeitszimmer. »So komm doch herein!«
    Gawrila Ardalionowitsch nickte dem Fürsten zu und begab sich eilig in das Arbeitszimmer.
    Ungefähr zwei Minuten darauf öffnete sich die Tür von neuem, und Gawrila Ardalionowitschs wohlklingende, höfliche Stimme rief:
    »Bitte, treten Sie näher, Fürst!«
     
Fußnoten
     
    1 Verkleinerungsform für Gawrila. (A.d.Ü.)
     
     
III
    Der General Iwan Fjodorowitsch Jepantschin stand mitten in seinem Arbeitszimmer und betrachtete mit größter Neugier den eintretenden Fürsten; er ging ihm sogar zwei Schritte entgegen. Der Fürst trat zu ihm heran und stellte sich ihm vor.
    »Sehr wohl«, antwortete der General; »womit kann ich Ihnen dienen?«
    »Ein dringliches Geschäft habe ich nicht; meine Absicht war einfach, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich möchte nicht stören, da ich weder Ihren Empfangstag noch Ihre Dispositionen kenne ... Aber ich komme eben von der Bahn ... ich bin aus der Schweiz hergereist.«
    Der General war nahe daran, zu lächeln; aber er überlegte und

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