Was sich kusst das liebt sich
Kapitel 1
Neve setzte sich und spürte sogleich, wie sich ihr Slip und ihre Strumpfhose selbstständig machten. Sie rutschte nach vorn zur Sofakante, stellte die Füße fest auf den Boden, richtete den Oberkörper auf und zog den Bauch ein, aber es nützte alles nichts– der doppelt verstärkte Strumpfhosenbund wanderte weiter Richtung Süden, und ihre Schwimmreifen quollen heraus und schmiegten sich, erfreut über die plötzlich wiedergewonnene Freiheit, an die Nähte ihres Vintage-Kleides, in das sie ohne figurformende Unterwäsche und Strümpfe gar nicht erst hineingekommen wäre. Ihre diesbezüglich geäußerten Bedenken waren bei ihrer Schwester Celia allerdings auf taube Ohren gestoßen.
Auch Neves Beteuerungen, dass sie viel lieber bei einer Tasse Tee und einem guten Buch daheimbleiben würde, hatte Celia unerbittlich ignoriert. So kam es, dass Neve nun hier auf einer ungemütlichen Chaiselongue in diesem heißen, stickigen Nachtklub in Soho kauerte, umgeben von massenhaft modisch gekleideten Menschen, die sich gegenseitig anbrüllten, um sich über die dröhnenden Bässe der Musik hinweg Gehör zu verschaffen.
» Ich hasse dich«, zischte sie ihrer Schwester zu, die sich gerade neben ihr niederließ.
» Von wegen. Du liebst mich«, erwiderte Celia erbarmungslos. » Hier, dein Drink. Du wirst deinen Weißwein wohl oder übel pur trinken müssen– das Wort Weinschorle wollte mir partout nicht über die Lippen kommen.«
Neve nahm wenig begeistert einen Schluck und versuchte dabei, den Bauch einzuziehen. » Wann kann ich endlich nach Hause gehen, Celia?«
» Ich werde mal so tun, als hätte ich das gar nicht gehört«, antwortete Celia, während sie mit zusammengekniffenen Augen den Raum durchforstete. » Ich finde es klasse, dass wir endlich mal gemeinsam auf Aufriss gehen. Das wird ein Spaß! Also, hast du schon einen Typen gesichtet, der dich interessiert?«
Von Spaß konnte keine Rede sein. Und überhaupt…
» Ich habe nicht vor, mir irgendwelche Typen aufzureißen«, entgegnete Neve steif. » Ich habe mich lediglich dazu bereit erklärt, ein wenig mit heterosexuellen Single-Männern zu plaudern und vielleicht ein kleines bisschen zu flirten. Vom Aufreißen bin ich noch weit entfernt. Meilenweit.«
» Das werden wir ja sehen«, meinte Celia. » Wie findest du Martyn von der Schlussredaktion?«
Neve spähte in die Richtung, in die Celia zeigte. Der Betreffende war zwar nicht ganz so topmodisch gekleidet wie die übrigen anwesenden Männer, aber er spielte trotzdem in einer ganz anderen Liga als Neve. Im Grunde genommen spielte sogar der Verkäufer der Straßenzeitung Big Issue, der immer vor der U-Bahn-Station am Leicester Square stand, in einer anderen Liga als sie– schließlich hatte Neve, was Männer anging, ungefähr so viel Erfahrung wie eine achtzehnjährige Klosterschülerin, die auf ihren ersten Ball geht.
Celia hatte behauptet, es würde schon ausreichen, wenn Neve ihre Bücher aus der Hand legte und an Orten verkehrte, an denen Single-Männer anzutreffen waren. » Du stellst einfach Blickkontakt her, lächelst ein bisschen und sagst irgendetwas über die Musik oder über das lahme Barpersonal, und schon bist du im Rennen«, hatte sie ihr unbekümmert versichert. » Aber vor allem musst du überhaupt erst mal unter Leute.«
Genau deshalb war Neve nun hier, auf der Weihnachtsfeier von Celias Firma. Nach Neves Erfahrung gehörten zu Firmenfeiern für gewöhnlich einige ausgeleierte Papiergirlanden, ein paar Plastikschüsseln mit labberigen Kartoffelchips und eine Sekretärin, die in der Damentoilette heulte. Doch Celia arbeitete für das Modemagazin Skirt, und deshalb gab es Tempura-Rolls, Lichtinstallationen und eine Meute bildhübscher Mädchen in den neuesten Designerklamotten, die Neve bislang nur in Zeitschriften gesehen hatte und von denen sie nicht angenommen hätte, dass jemand sie im richtigen Leben trug. Es war zwar schon Ende Januar, aber die Skirt -Angestellten waren im Dezember offenbar zu sehr damit beschäftigt gewesen, die Weihnachtsfeiern anderer Firmen zu besuchen, um selbst eine zu organisieren.
» Ach, Celia, bitte nicht«, flehte Neve, als ihre Schwester begann, besagtem Martyn mit beiden Armen zuzuwinken, worauf er sich sogleich begeistert aus der Menge löste und zu ihnen eilte.
Seine Begeisterung verwandelte sich in Entzücken, als Celia den Arm um ihn legte. » Martyn, das ist meine große Schwester Neve. Sie ist unglaublich klug und kennt jede Menge
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