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Bone 01 - Die Kuppel

Titel: Bone 01 - Die Kuppel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peadar O'Guilín
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BRÜDER
    Weiterlaufen! Nichts anderes zählte. Nicht aufhören, nicht sterben! Der Stamm brauchte seine stärksten Mitglieder, um zu überleben. Also rannte Stolperzunge in den Straßen des Reviers der Haarigen um sein Leben, während die nicht menschlichen Bewohner das Geschehen gleichgültig beobachteten. Die Rufe seines Bruders hinter ihm wurden bereits schwächer.
    »Bitte, Stolperzunge!«
    Die Panzerrücken zogen lebende Beute vor. Wenn sie Wandbrecher erwischten, würden sie ihn mit Speeren nach Hause treiben, um ihn an ihre Jungen zu verfüttern. Die Schreie solcher Gefangenen waren tagelang zu hören; sie hallten über die Straßen und Dächer.
    Stolperzunge versuchte, nicht daran zu denken. »Renn w-w-weiter!«, feuerte er sich selbst an. Er sprang über Fässer mit Fleisch und hastete in eine Gasse, die schmal genug war, um seine Verfolger in Schwierigkeiten zu bringen, falls sie ihm immer noch auf den Fersen waren.
    Stolperzunge wurde klar, dass er seinen Bruder nicht mehr hören konnte. Keuchend blieb er stehen. Die heiße Luft des Nachmittags stank nach Blut und war mit dem lauten Geheul kämpfender oder sich paarender Haariger erfüllt. Er spürte, wie sein Herz gegen seine Rippen schlug, und lehnte kurz seinen hochgewachsenen Körper gegen eine bröckelnde Wand. Nicht aufhören. Nicht nachdenken. Weiterlaufen. Er rieb sich die brennenden Augen und flüsterte den Namen »Wandbrecher«. Die Menschheit überlebte vielleicht ohne seinen Bruder, aber Stolperzunge würde es nicht überstehen. Wandbrecher war schon immer der Liebling des Stammes gewesen. Das niedliche Kind war zu einem großen Jäger herangewachsen, und die Leute sahen ihm alles nach, selbst einen halb schwachsinnigen Bruder. Und sie hatten ihm immer verziehen und geduldig gelächelt, wenn Stolperzunge stotterte, weil sie seinen gut aussehenden älteren Bruder nicht verärgern wollten.
    Aber wenn Wandbrecher es nicht nach Hause schaffte, würde Moosherz jemand anderen heiraten müssen, und das würde bedeuten… Stolperzunge verdrängte diesen Gedanken und erschauderte vor Selbstekel. Er zwang sich, über die Schulter zurückzublicken. Er suchte nach seinem Bruder, aber Horden von grobschlächtigen Haarigen versperrten ihm die Sicht. Der strenge Gestank ihres Fells verbreitete sich auf dem Marktplatz. Sie feilschten mit hohen schnatternden Stimmen um Fleisch, und manchmal drückten sich die größeren Männchen gegeneinander, Brust an Brust, bis einer von beiden nachgab.
    Stolperzunge wischte sich das verschwitzte braune Haar aus den Augen und marschierte den Weg zurück, den er gekommen war. Die Ältesten wären sehr zornig, wenn sie wüssten, was er tat. »Selbstmord!«, würden sie rufen. »Verschwendung!« Er hatte nicht einmal einen Speer dabei, um sich zu verteidigen, weil er ihn während der Flucht verloren hatte.
    Dann erreichte er die Stelle, wo er zuletzt die Stimme seines Bruders gehört hatte. In die Gasse, die von hohen Gebäuden gesäumt war, fiel kaum Licht vom Großen Dach. Er fand ein paar Blutspuren, aber sie waren bereits alt. Stolperzunge schlich auf Zehenspitzen zum anderen Ende, während seine Muskeln vor Erschöpfung zitterten. Sein ganzer Körper war in Schweiß gebadet, der ihm vom Lendenschurz tropfte. Hier hörte er endlich den Klang einer menschlichen Stimme, ein wimmerndes Klagen, das überhaupt nicht zum großen Jäger Wandbrecher passte.
    Das kann nicht mein Bruder sein , dachte Stolperzunge.
    Die Gasse führte auf einen kleinen Platz, wo die Wände mit unverständlichen Zeichnungen aus verschmiertem Blut übersät waren. Einige Haarige beobachteten neugierig, wie Wandbrecher, dessen blondes Haar völlig verdreckt war, vor den Speeren der Panzerrücken zurückwich. Er gab sich keine Mühe, auch nur einen seiner Angreifer mit in den Tod zu nehmen. Stattdessen flossen ihm ungehemmt die Tränen über das hübsche Gesicht. Er brachte Schande über sich und seine Familie.
    Obwohl Stolperzunge tiefes Mitleid empfand, überlegte er, ob sich ein Rettungsversuch lohnte. Zwei Menschen konnten sich unmöglich gegen fünf erwachsene Panzerrücken durchsetzen. Sie reichten einem Menschen nur bis zur Brust, waren aber viel breiter gebaut, und ihre steinharte Haut machte sie nahezu unverwundbar.
    Stolperzunge knirschte mit den Zähnen. Er war noch nicht zum Sterben bereit, aber er wollte auch nicht, dass diese Bestien seinen Bruder mitnahmen. Und ihm blieb immer noch etwas Zeit, weil sie lieber lebende Gefangene machten, statt

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