Der Idiot
hätte, so hätte sie es ehrlich gehalten. Glanz und Pracht liebte sie nicht; ihr Mann hatte von ihr keine steten Sorgen, keine schroffe Sinnesänderung zu befürchten; sie konnte ihm sogar ein angenehmes, ruhiges Leben verschaffen. Ihre äußere Erscheinung war sehr hübsch, wenn auch nicht gerade Aufsehen erregend. Wo konnte es für Tozki eine bessere Frau geben?
Und doch kam die Sache nur äußerst langsam vom Fleck. Tozki und der General waren beiderseits in aller Freundschaft zu dem Entschluß gelangt, vorläufig jeden formellen, unwiderruflichen Schritt zu unterlassen. Selbst die Eltern sprachen mit den Töchtern immer noch nicht ganz offen über die Angelegenheit; im Gegenteil hatte sich eine Art von Dissonanz herausgebildet: die Mutter der Familie, die Generalin Jepantschina, war aus einem gewissen Grund unzufrieden geworden, und das war doch von großer Wichtigkeit. Es lag da ein hinderlicher Umstand vor, eine verwickelte, widerwärtige Sache, durch die das ganze Projekt möglicherweise unwiederbringlich zum Scheitern gebracht wurde.
Dieser verwickelte, widerwärtige »Kasus« (wie Tozki selbst sich ausdrückte) reichte in seinen Anfängen sehr weit, etwa achtzehn Jahre, zurück. Nahe bei einem sehr großen, ertragreichen Gut, das Afanasi Iwanowitsch in einem der mittleren Gouvernements besaß, lebte damals ein kleiner Gutsbesitzer höchst kümmerlich in großer Armut. Es war merkwürdig, wieviel Malheur der Mann ununterbrochen hatte; man erzählte sich darüber wunderliche Geschichten. Er war ein pensionierter Offizier aus guter Adelsfamilie, wodurch er vor Tozki sogar etwas voraus hatte, ein gewisser Filipp Alexandrowitsch Baraschkow. Obgleich er tief in Schulden gesteckt hatte und seine ganze Habe hatte verpfänden müssen, war es ihm endlich, nachdem er wie ein Bauer, ja fast wie ein Zuchthäusler gearbeitet hatte, gelungen, seine kleine Wirtschaft wieder leidlich befriedigend in Ordnung zu bringen. Auch der geringste Erfolg hatte die Wirkung, ihm neue Spannkraft zu verleihen. Guten Mutes, die Brust von froher Hoffnung geschwellt, verließ er einmal sein Gut, um auf einige Tage nach seiner Kreisstadt zu fahren, wo er einen seiner Hauptgläubiger besuchen und sich womöglich endgültig mit ihm einigen wollte. Aber am dritten Tag nach seiner Ankunft in der Stadt kam bei ihm der Schulze aus seinem Dörfchen mit verbrannter Backe und versengtem Bart angeritten und meldete ihm, daß am vorhergehenden Tag, gerade um Mittag, das Dorf und die sämtlichen Gutsgebäude abgebrannt seien; dabei sei auch die Gemahlin des Gutsbesitzers ums Leben gekommen, während die Kinderchen unversehrt geblieben seien. Diesen Blitz aus heiterem Himmel konnte auch Baraschkow, wie sehr er auch an Schicksalsschläge gewöhnt war, nicht ertragen; er verlor den Verstand und starb einen Monat nachher am hitzigen Fieber. Das abgebrannte Gut, dessen Bauern nach allen vier Winden auseinandergelaufen waren, kam unter den Hammer; was die beiden kleinen Kinder Baraschkows anlangte, ein sechsjähriges und ein siebenjähriges Mädchen, so übernahm es Afanasi Iwanowitsch Tozki großmütigerweise, sie auf seine Kosten erziehen zu lassen. Sie wurden mit den Kindern seines Verwalters zusammen erzogen, eines verabschiedeten Beamten mit zahlreicher Familie, eines Deutschen. Bald darauf blieb nur das eine der beiden Mädchen, Nastasja, übrig, indem die Jüngere am Keuchhusten starb; Tozki, der im Ausland lebte, hatte die beiden bald ganz und gar vergessen. Fünf Jahre darauf gedachte Afanasi Iwanowitsch einmal auf der Durchreise sich sein Gut anzusehen und bemerkte plötzlich in seinem Gutshaus in der Familie seines deutschen Verwalters ein reizendes Kind, ein zwölfjähriges munteres, liebenswürdiges, verständiges Mädchen, das außerordentlich schön zu werden versprach; in dieser Hinsicht war Afanasi Iwanowitsch ein Kenner, der sich nicht leicht irrte. Diesmal blieb er nur einige Tage auf dem Gut, fand aber doch Zeit, allerlei Anordnungen zu treffen. In der Erziehung des jungen Mädchens fand eine wesentliche Veränderung statt: es wurde eine respektable, ältere Gouvernante angenommen, eine gebildete Schweizerin, die im höheren Mädchenunterricht Erfahrung besaß und außer in der französischen Sprache auch noch in mehreren Wissenschaften unterrichten konnte. Sie zog in das Gutshaus ein, und die geistige Ausbildung der kleinen Nastasja erhielt nun einen größeren Umfang. Nach vier Jahren war diese Ausbildung beendet, und die Gouvernante
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