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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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reiste wieder ab. Dafür aber kam, um Nastasja abzuholen, eine Dame an, welche ebenfalls eine Gutsnachbarin Tozkis war, aber in einem andern, entfernten Gouvernement; diese nahm, in Afanasi Iwanowitschs Auftrag und von ihm bevollmächtigt, die kleine Nastasja mit sich. Auf diesem Tozkischen Gut fand sich gleichfalls ein zwar nur kleines, aber soeben erst erbautes Holzhaus; es war außerordentlich geschmackvoll eingerichtet, und das Dörfchen führte wie absichtlich den Namen Otradnoje 1 . Die Gutsbesitzerin brachte Nastasja direkt in dieses stille Häuschen, und da sie selbst, eine kinderlose Witwe, nur eine Werst davon entfernt wohnte, so siedelte auch sie zu Nastasja über. Auch eine alte Haushälterin und eine junge, wohlerfahrene Zofe stellten sich bei Nastasja ein. In dem Haus fanden sich Musikinstrumente, eine auserlesene Mädchenbibliothek, Gemälde, Kupferstiche, Bleistifte, Pinsel, Farben, ein wunderschönes Windspiel, und nach zwei Wochen traf auch Afanasi Iwanowitsch selbst ein ... Von der Zeit an hatte er dieses ihm gehörende Steppendörfchen ganz besonders in sein Herz geschlossen; er besuchte es jeden Sommer und wohnte dort zwei, selbst drei Monate lang. So verging eine ziemlich lange Zeit, wohl vier Jahre, ruhigen und glücklichen, schönen und genußreichen Lebens.
    Eines Tages (es war Anfang des Winters, ungefähr vier Monate, nachdem Afanasi Iwanowitsch im Sommer wieder in Otradnoje zu Besuch gewesen war, wo er sich jedoch diesmal nur vierzehn Tage aufgehalten hatte) ereignete es sich, daß auf irgendeine Weise zu Nastasja Filippownas Ohren ein Gerücht drang, daß Afanasi Iwanowitsch in Petersburg im Begriff sei, eine schöne, reiche, vornehme Dame zu heiraten, kurz eine solide, glänzende Partie zu machen. Es stellte sich dann heraus, daß dieses Gerücht nicht in allen Einzelheiten mit der Wirklichkeit übereinstimmte: die Heirat war erst in Aussicht genommen und alles noch sehr unbestimmt; aber in Nastasja Filippownas Wesen ging seitdem doch eine gewaltige Wandlung vor. Sie bewies auf einmal eine große Entschlossenheit und legte eine ganz unerwartete Energie an den Tag. Ohne sich lange zu besinnen, verließ sie ihr kleines Gutshaus, reiste völlig allein nach Petersburg und begab sich dort geradewegs zu Tozki. Dieser war äußerst erstaunt und fing an, mit ihr zu reden; aber fast vom ersten Wort an stellte es sich heraus, daß er die ganze Art, in der er sonst mit ihr geredet hatte, ändern mußte: die Ausdrucksweise, den Stimmklang, die bisher so erfolgreich benutzten Themata netter, angenehmer Gespräche, die Form der logischen Schlußfolgerungen, kurz alles, alles, alles! Vor ihm saß ein ganz anderes weibliches Wesen, das keinerlei Ähnlichkeit mit demjenigen hatte, das er bisher gekannt und erst im Juli in Otradnoje verlassen hatte.
    Erstens wußte und verstand dieses neue Weib, wie sich herausstellte, außerordentlich vieles, so vieles, daß man höchst erstaunt sein mußte, wie sie es möglich gemacht habe, sich ein solches Wissen zu erwerben und sich zu so klaren Anschauungen durchzuarbeiten. (Hatte ihr wirklich ihre Mädchenbibliothek dazu verholfen?) Und damit nicht genug: sie verstand auch sehr viel von juristischen Dingen und besaß sichere Kenntnisse, wenn auch nicht von der menschlichen Gesellschaft, so doch von dem Gang, den gewisse Dinge in der menschlichen Gesellschaft nehmen. Zweitens aber hatte sich ihr Charakter gegen früher vollständig geändert: Es war da keine Rede mehr von jenem schüchternen, unsicheren Mädchentypus, der manchmal durch seine originelle Munterkeit und Naivität bezaubert und dann wieder sich trüb und melancholisch, erstaunt und mißtrauisch, unruhig und zum Weinen geneigt ist. Nein, diejenige, die ihm da ins Gesicht lachte und ihn mit beißendem Spott verwundete, war ein fremdes, überraschendes Wesen. Nastasja erklärte ihm geradezu, sie habe ihm gegenüber in ihrem Herzen nie etwas anderes empfunden als die tiefste Verachtung; dieses bis zum Ekel gesteigerte Gefühl sei bei ihr gleich nach dem ersten Erstaunen eingetreten. Dieses neue Weib erklärte ihm, es sei ihr eigentlich vollständig gleichgültig, ob er sich jetzt verheirate und mit wem; aber doch sei sie hergekommen, um ihm diese Heirat zu verbieten, und zwar einfach aus Bosheit, einzig und allein, weil es ihr so beliebe; somit müsse es nun einmal so sein. »Und war's auch nur, damit ich über dich lachen kann, soviel ich will«, sagte sie, »denn jetzt habe auch ich schließlich Lust

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