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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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bekommen zu lachen.«
    So drückte sie sich wenigstens aus; vielleicht hatte sie damit nicht einmal alles, was sie dachte, ausgesprochen. Aber während die neue Nastasja Filippowna höhnisch lachte und ihm all dies auseinandersetzte, überdachte Afanasi Iwanowitsch diese Angelegenheit für sich und brachte nach Möglichkeit seine etwas durcheinander geworfenen Gedanken wieder in Ordnung. Diese Erwägungen dauerten ziemlich lange; er brauchte zu seinen Überlegungen und zum Fassen eines endgültigen Beschlusses fast zwei Wochen; aber als diese Zeit um war, hatte er sich auch entschieden. Afanasi Iwanowitsch war damals schon ungefähr fünfzig Jahre alt und ein höchst solider, gesetzter Mann. Seine Stellung in der Welt und in der Gesellschaft war schon seit langer Zeit auf die festesten Fundamente gegründet. Sich selbst sowie seine Ruhe und Bequemlichkeit liebte und schätzte er über alles in der Welt, wie sich das auch für einen im höchsten Grade anständigen Menschen schickt. Diesen Zustand, der sich durch sein ganzes bisheriges Leben konsolidiert und eine so schöne Form angenommen hatte, war er nicht gewillt, auch nur im geringsten stören oder ins Schwanken bringen zu lassen. Andererseits ließen ihn seine Erfahrung und sein Scharfblick für die Dinge dieser Welt sehr bald und mit völliger Klarheit erkennen, daß er es jetzt mit einem ganz ungewöhnlichen Wesen zu tun habe, daß dies eine Persönlichkeit sei, die nicht nur drohe, sondern auch unfehlbar handle und namentlich vor keinem Hindernis haltmache, um so weniger, da ihr nichts in der Welt teuer sei, so daß man sie auch durch Geschenke nicht bestechen könne. Hier lag augenscheinlich etwas anderes vor: man spürte eine Art von seelischem Ekel, eine Art von romanhafter Entrüstung über Gott weiß wen und was, eine Art von unersättlichem, alles Maß überschreitendem Gefühl der Verachtung, kurz etwas, was in anständiger Gesellschaft als im höchsten Grad lächerlich und unerlaubt gilt und womit zu tun zu haben für jeden anständigen Menschen geradezu eine Strafe Gottes ist. Selbstverständlich hätte Tozki bei seinem Reichtum und bei seinen Verbindungen ohne weiteres irgendeine kleine, ganz harmlose Freveltat begehen können, um sich diese Unannehmlichkeit vom Hals zu schaffen. Andererseits war auch Nastasja Filippowna sicherlich kaum imstande, ihm etwas Schlimmes, etwa auf gerichtlichem Weg, zuzufügen; sie konnte nicht einmal einen besonderen Skandal hervorrufen, weil man sie immer mit größter Leichtigkeit in Schranken halten konnte. Aber all das war nur für den Fall richtig, daß Nastasja Filippowna sich dafür entschied, so zu handeln, wie es alle anderen Frauen in ähnlichen Fällen tun, und nicht in ihrer Exzentrizität alles Maß überschritt. Aber hier kam dem klugen Tozki seine Menschenkenntnis zustatten: Er merkte, daß Nastasja Filippowna selbst sehr wohl einsah, wie wenig sie ihm durch die Gerichte schaden konnte, und daß sie ganz andere Gedanken in ihrem Kopf umherwälzte; das verrieten ihm ihre funkelnden Augen. Da ihr nichts wertvoll war und am wenigsten ihre eigene Person (es bedurfte eines sehr klaren, eindringenden Verstandes, um in diesem Augenblick zu erkennen, daß sie schon längst aufgehört hatte, ihrer eigenen Person irgendwelchen Wert beizulegen, und um als Skeptiker und zynisch denkender Weltmann doch an die Ernsthaftigkeit dieses Gefühles zu glauben), so war Nastasja Filippowna imstande, sich selbst in häßlicher Art, etwa durch Sibirien und Zuchthaus, unwiederbringlich zugrunde zu richten, nur um den Menschen zu beschimpfen, gegen den sie einen so unmenschlichen Haß nährte. Afanasi Iwanowitsch hatte nie ein Hehl daraus gemacht, daß er ein wenig feige oder, besser ausgedrückt, im höchsten Grad auf Bewahrung des Dekors bedacht war. Hätte er zum Beispiel gewußt, daß man ihn auf seiner Hochzeit ermorden werde oder sich dabei sonst etwas sehr Unpassendes, Lächerliches und in der Gesellschaft nicht Übliches begeben werde, so hätte er gewiß einen großen Schreck bekommen, aber nicht sowohl eben darüber, daß man ihn ermorden, ihn schwer verwunden oder ihm vor aller Augen ins Gesicht speien werde usw., als vielmehr darüber, daß ihm dies unter Verletzung alles Brauches und Anstandes widerfahren werde. Und gerade so etwas war von Nastasja Filippowna zu erwarten, wiewohl sie noch darüber schwieg; aber er wußte, daß sie ihn durch und durch kannte und folglich wußte, wie sie ihn am empfindlichsten treffen

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