Der Idiot
Herausforderung. Aber auch die Zuhörer befanden sich in voller Entrüstung. Alle erhoben sich geräuschvoll und ärgerlich vom Tisch. Die Müdigkeit, der Wein, die Anspannung steigerten noch den Wirrwarr und, wenn man sich so ausdrücken kann, die Unreinlichkeit der Empfindungen.
Plötzlich sprang Ippolit schnell vom Stuhl auf, als ob ihn jemand in die Höhe gerissen hätte.
»Die Sonne ist aufgegangen!« rief er, indem er nach den leuchtenden Baumwipfeln hinblickte und, zum Fürsten gewendet, mit der Hand auf sie wie auf ein Wunder hinwies. »Sie ist aufgegangen!«
»Haben Sie denn gedacht, sie würde nicht aufgehen?« bemerkte Ferdyschtschenko.
»Das verspricht wieder Hitze für den ganzen Tag«, murmelte Ganja lässig und ärgerlich; er hielt den Hut in der Hand, reckte sich und gähnte. »Die Trockenheit scheint den ganzen Monat anzuhalten ...! Wollen wir gehen, Ptizyn?«
Ippolit wurde, als er ihn so reden hörte, fast starr vor Staunen; auf einmal erbleichte er furchtbar und begann am ganzen Leib zu zittern.
»Sie bringen die Gleichgültigkeit, mit der Sie mich kränken wollen, in recht ungeschickter Weise zum Ausdruck«, wandte er sich an Ganja und sah ihn dabei starr an. »Sie sind ein Nichtswürdiger!«
»Na, weiß der Teufel, was das vorstellen soll, sich so aufzuknöpfen!« schrie Ferdyschtschenko. »Was ist das für eine unerhörte Schwachmütigkeit!«
»Er ist einfach ein Narr«, sagte Ganja.
Ippolit hatte wieder ein wenig Kraft gesammelt.
»Ich verstehe das, meine Herren«, begann er, immer noch wie vorher zitternd und bei jedem Wort stockend, »daß ich Ihre persönliche Rache verdient habe, und ... ich bedaure, Sie mit diesen Fieberphantasien« (er wies auf das Manuskript) »halbtot gequält zu haben. Übrigens bedaure ich, daß es mir nicht gelungen ist, Sie ganz totzuquälen ...« (Er lächelte einfältig.) »Habe ich Sie totgequält, Jewgeni Pawlowitsch?« fragte er diesen, sich plötzlich zu ihm herumwendend. »Habe ich Sie totgequält oder nicht? Antworten Sie!«
»Es war etwas zu weit ausgesponnen; aber im übrigen ...«
»Sagen Sie alles! Lügen Sie wenigstens ein einziges Mal in Ihrem Leben nicht!« rief Ippolit zitternd in befehlendem Ton.
»Oh, mir ist die Sache ganz gleichgültig! Bitte, tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie mich in Ruhe!« erwiderte Jewgeni Pawlowitsch und wandte sich geringschätzig ab.
»Gute Nacht, Fürst!« sagte Ptizyn, zu diesem herantretend.
»Aber er wird sich gleich erschießen! Was machen Sie denn! Sehen Sie ihn doch nur an!« rief Wjera, stürzte in größter Angst zu Ippolit hin und faßte ihn sogar an den Armen. »Er hat ja gesagt, bei Sonnenaufgang wolle er sich erschießen! Was machen Sie denn!«
»Er wird sich nicht erschießen!« murmelten einige spöttisch, darunter auch Ganja.
»Meine Herren, nehmen Sie sich in acht!« rief Kolja und faßte Ippolit ebenfalls beim Arm. »Sehen Sie ihn nur an! Fürst! Fürst, warum tun Sie denn nichts?«
Um Ippolit drängten sich Wjera, Kolja, Keller und Burdowski; alle vier hatten ihn an den Armen gepackt.
»Er hat ein Recht ... ein Recht ...«, murmelte Burdowski, der übrigens ebenfalls ganz fassungslos war.
»Erlauben Sie, Fürst, was wollen Sie nun anordnen?« fragte Lebedjew hinzutretend; er war betrunken und bis zur Frechheit erbost.
»Was ich anordnen will?«
»Nein, erlauben Sie; ich bin der Hausherr, obgleich ich es an Achtung Ihnen gegenüber nicht fehlen lassen will ... Allerdings sind auch Sie hier Hausherr; aber ich will nicht, daß so etwas in meinem eigenen Haus ... Jawohl.«
»Er wird sich nicht erschießen; der Junge treibt nur Possen!« rief ganz unerwartet General Iwolgin entrüstet und mit großartiger Würde.
»Der General hat's getroffen!« stimmte Ferdyschtschenko bei.
»Das weiß ich, daß er sich nicht erschießen wird, General, hochverehrter General; aber doch ... denn ich bin der Hausherr.«
»Hören Sie mal, Herr Terentjew«, sagte auf einmal Ptizyn, nachdem er sich von dem Fürsten verabschiedet hatte, und streckte Ippolit seine Hand hin; »Sie reden ja wohl in Ihrem Heft von Ihrem Skelett und vermachen es der Akademie? Meinen Sie damit Ihr eigenes Skelett? Vermachen Sie also der Akademie Ihre eigenen Knochen?«
»Ja, meine Knochen ...«
»Soso. Sonst wäre nämlich ein Mißverständnis möglich. Man sagt, ein solcher Fall sei bereits vorgekommen.«
»Warum hänseln Sie ihn?« rief der Fürst.
»Die Tränen kommen ihm schon«, fügte Ferdyschtschenko
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