Der Idiot
Gelächter abgelöst. Manche wollten sich sogar vor Lachen ausschütten und fanden darin ein schadenfrohes Vergnügen. Ippolit schluchzte krampfhaft, rang die Hände, stürzte zu allen hin, sogar zu Ferdyschtschenko, faßte ihn mit beiden Händen an und schwur ihm, er habe vergessen, »ganz zufällig, nicht absichtlich vergessen«, ein Zündhütchen aufzusetzen; die Zündhütchen befänden sich alle, zehn Stück an der Zahl, in seiner Westentasche (er zeigte sie allen ringsherum); er habe vorher keines aufgesetzt aus Besorgnis, der Schuß könne durch Zufall in der Tasche losgehen; er habe damit gerechnet, daß er dazu auch später noch Zeit haben werde, sobald es nötig sei, und habe es nun auf einmal vergessen. Er stürzte zum Fürsten und zu Jewgeni Pawlowitsch hin und flehte Keller an, ihm die Pistole zurückzugeben; er werde allen sofort beweisen, daß er »Ehre im Leibe habe ...«, er sei jetzt »lebenslänglich entehrt«!
Schließlich fiel er bewußtlos hin. Man trug ihn in das Zimmer des Fürsten, und Lebedjew, der nun wieder ganz nüchtern geworden war, schickte ohne Verzug zu einem Arzt; er selbst aber sowie seine Tochter, sein Sohn, Burdowski und der General blieben am Bett des Kranken. Als der bewußtlose Ippolit hinausgetragen war, stellte sich Keller mitten in der Veranda hin und verkündete, so daß alle es hörten, in wirklicher Begeisterung, indem er jedes Wort einzeln und deutlich aussprach:
»Meine Herren, wenn jemand von Ihnen noch einmal laut in meiner Gegenwart einen Zweifel daran äußern sollte, daß das Zündhütchen nur zufällig vergessen war, und behaupten sollte, der unglückliche junge Mensch habe nur Komödie gespielt, so wird der Betreffende es mit mir zu tun haben.«
Aber es antwortete ihm niemand. Die Gäste entfernten sich endlich in einzelnen Trupps. Ptizyn, Ganja und Rogoschin gingen zusammen.
Der Fürst war sehr erstaunt darüber, daß Jewgeni Pawlowitsch seine Absicht geändert hatte und, ohne sich mit ihm ausgesprochen zu haben, fortgehen wollte.
»Sie wollten doch mit mir sprechen, sobald alle fortgegangen wären?« fragte er ihn.
»Ganz richtig«, erwiderte Jewgeni Pawlowitsch, setzte sich auf einen Stuhl und veranlaßte den Fürsten, sich neben ihn zu setzen; »aber ich habe meine Absicht jetzt vorläufig geändert. Ich muß Ihnen bekennen, daß ich etwas verwirrt bin, und Ihnen wird es wohl ebenso gehen. Meine Gedanken sind mir ganz in Unordnung gekommen; zudem ist der Gegenstand, über den ich mit Ihnen sprechen wollte, für mich sehr wichtig, und auch für Sie. Sehen Sie, Fürst, ich möchte wenigstens einmal in meinem Leben ganz ehrlich handeln, das heißt ganz ohne Hintergedanken; nun, ich glaube aber, daß ich jetzt, in diesem Augenblick, einer ganz ehrlichen Handlung nicht fähig bin, und Sie vielleicht auch nicht ... ja ... und ... nun, wir wollen uns also später miteinander aussprechen. Vielleicht gewinnt auch die Sache sowohl für mich als auch für Sie an Klarheit, wenn wir noch die drei Tage warten, während deren ich jetzt in Petersburg sein werde.«
Darauf stand er wieder vom Stuhl auf, so daß es nicht recht verständlich war, warum er sich überhaupt hingesetzt hatte. Der Fürst hatte auch den Eindruck, als ob Jewgeni Pawlowitsch unzufrieden und gereizt sei und ihn feindselig ansehe, und daß in seinem Blick etwas ganz anderes liege als vorher.
»Apropos, Sie gehen jetzt zu dem Kranken?«
»Ja ... ich bin um ihn besorgt«, erwiderte der Fürst.
»Seien Sie unbesorgt; er wird gewiß noch sechs Wochen leben und sich vielleicht hier noch ganz erholen. Aber das beste wäre, wenn Sie ihn morgen wegjagten.«
»Ich habe ihn vielleicht wirklich dadurch verletzt, daß ich nichts gesagt habe; er hat schließlich gedacht, ich zweifelte daran, daß er sich erschießen werde. Wie denken Sie darüber, Jewgeni Pawlowitsch?«
»Nein, nein. Sie sind zu gutherzig, daß Sie sich um ihn noch Sorge machen. Ich habe wohl sagen hören, aber nie in natura gesehen, daß sich jemand absichtlich deswegen erschießt, um gelobt zu werden, oder aus Ärger darüber, daß man ihn deswegen nicht lobt. Vor allen Dingen hätte ich eine solche offene Kundgebung der eigenen Schwachmütigkeit nicht für möglich gehalten! Aber ich möchte Ihnen doch raten, ihn morgen wegzujagen.«
»Sie glauben, daß er noch einmal auf sich schießen wird?«
»Nein, jetzt wird er sich nicht mehr erschießen. Aber nehmen Sie sich vor diesen einheimischen Lacenaires 1 in acht! Ich wiederhole Ihnen:
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