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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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klargeworden, daß Sie für ihn eine Lichtgestalt sind. Ich habe einen ganzen Monat lang neben ihm gelebt und bin dabei zu der Überzeugung gekommen, daß auch Sie ihn lieben; Sie und er sind für mich eins.«
    »Wie ist es damit?« schrieb sie an einer andern Stelle dieses Briefes. »Gestern ging ich an Ihnen vorbei, und es war mir, als ob Sie erröteten. Aber das ist unmöglich; das kann mir nur so vorgekommen sein. Und brächte man Sie in die schmutzigste Lasterhöhle und zeigte Ihnen dort die nackte Sünde, so dürften Sie doch nicht erröten; Sie können schlechterdings nicht über eine Beleidigung entrüstet sein. Sie können alle gemeinen, unwürdigen Menschen hassen, aber nicht um ihrer Eigenschaften willen, sondern aus Teilnahme für diejenigen, denen sie Kränkungen zufügen. Ihnen aber, Ihnen kann niemand eine Kränkung zufügen. Wissen Sie, ich meine, Sie müßten mich sogar lieben. Für mich sind Sie dasselbe wie für ihn: eine hehre Lichtgestalt; ein Engel aber kann nicht hassen; er kann gar nicht anders als lieben. Kann man alle lieben, alle Menschen, all seine Nächsten? Ich habe mir diese Frage oft vorgelegt. Gewiß nicht; das ist sogar unnatürlich. In der abstrakten Liebe zur Menschheit liebt man fast immer nur sich selbst. Aber wenn dies auch
uns
unmöglich ist, so sind Sie doch ein anderes Wesen: wie könnten Sie jemand nicht lieben, da Sie sich mit niemand auf eine Stufe stellen können, und da Sie über alle Kränkungen und über alle persönliche Entrüstung erhaben sind? Sie allein können ohne Egoismus lieben; Sie allein können nicht um Ihrer selbst willen lieben, sondern um desjenigen willen, den Sie lieben. O wie schmerzlich würde es mir sein, zu erfahren, daß Sie um meinetwillen Scham oder Zorn empfänden! Das wäre Ihr Untergang: damit stellten Sie sich auf einmal mir gleich ...
    Nachdem ich Ihnen gestern begegnet und nach Hause gekommen war, dachte ich mir ein Gemälde aus. Die Maler stellen Christus immer der biblischen Tradition gemäß dar; ich würde ihn anders malen: ich würde ihn allein darstellen; seine Jünger haben ihn ja auch manchmal allein gelassen. Ich würde nur ein kleines Kind bei ihm lassen. Das Kind hat neben ihm gespielt, ihm vielleicht etwas in seiner kindlichen Sprache erzählt; Christus hat ihm zugehört; aber jetzt ist er in seine Gedanken versunken; seine Hand ist unwillkürlich, in Selbstvergessenheit, auf dem blonden Köpfchen des Kindes liegengeblieben. Er blickt in die Ferne, nach dem Horizont; ein ruhiger Gedanke, groß wie die Welt, liegt in seinem Blick; sein Gesicht ist traurig. Das Kind ist verstummt; es hat seinen Ellbogen auf das Knie des Heilandes gesetzt, die eine Wange in die Hand gestützt, das Köpfchen aufgehoben und schaut ihn nun unverwandt nachdenklich an, in der Art wie Kinder manchmal nachdenklich sind ... Das ist mein Bild! Sie sind unschuldig, und in Ihrer Unschuld liegt Ihre ganze Vollkommenheit. Oh, vergessen Sie das nicht! Was geht Sie die Leidenschaft an, die ich für Sie empfinde? Sie gehören schon jetzt mir; ich werde mein ganzes Leben lang um Sie sein ... Aber ich werde bald sterben.«
    Im letzten Brief endlich hieß es:
    »Beurteilen Sie mich nur um Gottes willen nicht falsch; glauben Sie nicht etwa, daß ich mich geflissentlich selbst herabsetze, wenn ich so an Sie schreibe, oder daß ich zu denjenigen Wesen gehöre, denen es ein Genuß ist, sich herabzusetzen, wenn es auch aus Stolz geschieht. Nein, ich habe meinen Trost für mich; aber es wird mir schwer, Ihnen das zu erklären. Es würde mir sogar schwer werden, das mir selbst deutlich zu sagen, obwohl ich mich damit quäle. Aber ich weiß, daß bei mir die Möglichkeit ausgeschlossen ist, ein Anfall von Stolz könnte mich veranlassen, mich selbst herabzusetzen. Und einer Selbstherabsetzung aus Herzensreinheit bin ich gleichfalls unfähig. Folglich ist eine Selbstherabsetzung bei mir überhaupt unmöglich.
    Warum will ich Sie beide vereinigen: um meinetwillen oder um Ihretwillen? Natürlich um meinetwillen; darin finde ich meine ganze Absolution; das habe ich mir längst gesagt ... Ich habe gehört, daß Ihre Schwester Adelaida damals von meinem Porträt gesagt hat, mit einer solchen Schönheit könne man die Welt umdrehen. Aber ich habe der Welt entsagt. Es mag Ihnen lächerlich erscheinen, daß ich so rede, da Sie mich, mit Spitzen und Brillanten angetan, in der Gesellschaft von Trunkenbolden und Taugenichtsen sehen. Aber danach dürfen Sie nicht urteilen; ich existiere

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