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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Timofejewitsch; Sie schauspielern fortwährend! Ich rede von dem Geld, von dem Geld, von den vierhundert Rubeln, die Sie damals mit der Brieftasche verloren hatten; Sie kamen an dem Morgen, ehe Sie nach Petersburg fuhren, hierher, um mir davon zu erzählen; haben Sie nun endlich verstanden?«
    »Ach so, jene vierhundert Rubel meinen Sie!« erwiderte Lebedjew gedehnt, wie wenn er erst jetzt auf das Richtige käme. »Ich danke Ihnen, Fürst, für Ihre aufrichtige Teilnahme; sie ist mir sehr schmeichelhaft; aber ... ich habe das Geld wiedergefunden, schon längst.«
    »Sie haben es wiedergefunden! Ach, Gott sei Dank!«
    »Dieser Ausruf zeugt von Ihrer überaus edlen Denkungsart; denn vierhundert Rubel sind keine Kleinigkeit für einen armen Menschen, der von seiner schweren Arbeit leben muß und eine zahlreiche Familie von mutterlosen Kindern hat ...«
    »Das meine ich ja nicht! Gewiß, ich freue mich auch darüber, daß Sie das Geld wiedergefunden haben«, verbesserte sich der Fürst eilig; »aber ... wie ist es denn zugegangen, daß Sie es wiedergefunden haben?«
    »Ganz einfach; ich fand es unter dem Stuhl, auf dem der Rock gehangen hatte, so daß die Brieftasche offenbar aus der Tasche geglitten und auf den Fußboden gefallen war.«
    »Unter dem Stuhl? Das ist doch nicht möglich; Sie haben mir ja selbst gesagt, Sie hätten in allen Ecken und Winkeln nachgesucht; wie sollten Sie denn gerade diese wichtigste Stelle nicht beachtet haben?«
    »Das ist es ja eben, daß ich da gesucht habe! Daß ich das getan habe, darauf besinne ich mich ganz genau! In kauernder Stellung bin ich herumgekrochen, habe den Stuhl weggerückt und an dieser Stelle mit den Händen umhergetastet, da ich meinen eigenen Augen nicht traute: ich sah, daß nichts da war, daß der Fleck leer und glatt war, wie meine Handfläche da; aber dennoch fuhr ich fort umherzutasten. Solch ein törichtes Zweifeln an seinen eigenen Sinnen wiederholt sich immer beim Menschen, wenn er bei wichtigen, traurigen Verlusten den dringenden Wunsch hat, das Verlorene wiederzufinden: er sieht, daß nichts da und der Fleck leer ist, sieht aber doch fünfzehnmal nach ihm hin.«
    »Ja, allerdings; aber wie hängt denn die Sache hier zusammen ...? Ich verstehe es gar nicht«, murmelte der Fürst ganz verwirrt. »Sie sagen, es sei zuerst nicht dagewesen und Sie hätten an dieser Stelle gesucht, aber dann sei es plötzlich doch dagewesen!«
    »Ja, dann war es plötzlich doch da.«
    Der Fürst sah Lebedjew mit einem sonderbaren Blick an.
    »Und der General?« fragte er dann plötzlich.
    »Wieso? Was ist mit dem General?« erwiderte Lebedjew, der wieder nicht verstand.
    »Ach, mein Gott! Ich frage, was der General dazu sagte, als Sie die Brieftasche unter dem Stuhl wiedergefunden hatten. Sie hatten ja doch zuerst beide zusammen danach gesucht.«
    »Ja, wir hatten zuerst zusammen danach gesucht. Aber ich muß bekennen, diesmal schwieg ich still und zog es vor, ihm keine Mitteilung davon zu machen, daß ich die Brieftasche bereits allein wiedergefunden hatte.«
    »Aber ... warum denn das? War denn das Geld vollzählig darin?«
    »Ich habe die Brieftasche geöffnet; das Geld war vollzählig darin; nicht ein einziger Rubel fehlte.«
    »Aber Sie hätten doch wenigstens zu
mir
kommen sollen und es mir sagen«, bemerkte der Fürst nachdenklich.
    »Ich fürchtete, Sie in Ihren persönlichen und vielleicht sozusagen ganz außerordentlichen Empfindungen zu stören, Fürst; zudem stellte ich mich überhaupt so, als ob ich nichts gefunden hätte. Ich machte die Brieftasche auf, revidierte den Inhalt, machte sie dann wieder zu und legte sie wieder unter den Stuhl.«
    »Wozu denn das?«
    »Eine besondere Absicht hatte ich nicht dabei; ich war nur neugierig, was nun weiter geschehen werde«, erwiderte Lebedjew kichernd und sich die Hände reibend.
    »Also liegt sie auch jetzt noch seit vorgestern da?«
    »O nein; sie hat nur vierundzwanzig Stunden lang dagelegen. Sehen Sie, ich wünschte, daß auch der General sie finden möchte. Denn wenn ich sie schließlich gefunden hatte, warum sollte nicht auch der General einen Gegenstand bemerken, der unter dem Stuhl hervorsah und einem sozusagen in die Augen sprang? Ich hob diesen Stuhl zu wiederholten Malen auf und stellte ihn anders hin, so daß die Brieftasche nun ganz frei sichtbar dalag; aber der General bemerkte sie absolut nicht, und so dauerte das einen ganzen Tag lang. Er ist jetzt offenbar sehr zerstreut; man kann gar nicht aus ihm klug werden:

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