Der Idiot
wegsprangen.
»Genug! Sie haben mich verstanden, und ich bin beruhigt«, schloß er plötzlich und stand auf. »Ein Herz wie das Ihrige muß einen Leidenden verstehen. Fürst, Sie sind von einem idealen Edelsinn! Was sind alle andern gegen Sie? Aber Sie sind noch jung, und so erteile ich Ihnen meinen Segen. Also zum Schluß: ich bin gekommen, um Sie zu bitten, mir eine Stunde für eine wichtige Unterredung zu bestimmen; auf diese Unterredung setze ich meine größte Hoffnung. Was ich suche, ist nur Freundschaft und ein Herz, Fürst; ich habe die Forderungen meines Herzens bisher nie erfüllt gesehen.«
»Aber warum nicht gleich jetzt? Ich bin bereit zuzuhören ...«
»Nein, Fürst, nein«, unterbrach ihn der General eifrig. »Nicht gleich jetzt! Jetzt ist für Sie die Zeit, in schönen Hoffnungen zu schwelgen! Und die Sache ist sehr, sehr wichtig, sehr wichtig! In der Stunde, die dieses Gespräch dauern wird, wird sich mein Schicksal entscheiden. Diese Stunde wird mir gehören, und ich möchte nicht, daß uns in einem so heiligen Augenblick der erstbeste Eintretende unterbrechen könnte, der erstbeste freche Mensch, wie es ein solcher frecher Mensch oft tut« (er bog sich auf einmal zum Fürsten hin und sprach in einem sonderbaren, geheimnisvollen, beinah ängstlichen Flüsterton), »ein solcher frecher Mensch, der nicht so viel wert ist wie Ihr Stiefelabsatz, geliebter Fürst! O, ich sage nicht: wie mein Stiefelabsatz! Beachten Sie besonders, daß ich nicht meinen Stiefelabsatz erwähnt habe; denn ich achte mich selbst zu sehr, um das so ohne weiteres auszusprechen; aber nur Sie sind imstande, zu verstehen, daß ich, indem ich in einem solchen Fall meinen Stiefelabsatz unerwähnt lasse, vielleicht einen außerordentlichen Stolz auf meine Würde zum Ausdruck bringe. Außer Ihnen wird kein anderer dafür Verständnis haben, auch
er
nicht, an der Spitze aller andern.
Er
hat für nichts Verständnis, Fürst; er ist völlig, völlig unfähig, etwas zu begreifen! Man muß ein Herz haben, um etwas zu verstehen!«
Gegen Ende dieser Rede wurde der Fürst beinah ängstlich und setzte die Unterredung mit dem General auf den folgenden Tag zu derselben Stunde fest. Dieser ging in mutiger Stimmung weg; er fühlte sich sehr getröstet und fast beruhigt. Am Abend, zwischen sechs und sieben Uhr, ließ der Fürst Lebedjew auf einen Augenblick zu sich bitten.
Lebedjew erschien mit großer Eilfertigkeit; er hielt es für eine Ehre, wie er sofort beim Eintritt sagte; mit keiner Silbe redete er davon, daß er sich drei Tage lang gewissermaßen versteckt gehalten und offenbar eine Begegnung mit dem Fürsten vermieden hatte. Er setzte sich auf den Rand eines Stuhls, schnitt Grimassen, lächelte, kniff die lachenden, lauernden Augen zusammen, rieb sich die Hände und machte in der naivsten Weise ein Gesicht, als ob er eine sehr wichtige, längst erwartete und von allen bereits erratene Mitteilung zu hören erwartete. Dem Fürsten war das wieder peinlich; es wurde ihm klar, daß alle Leute auf einmal angefangen hatten, etwas von ihm zu erwarten, daß alle ihn unter Andeutungen, Lächeln und Augenzwinkern so anblickten, als ob sie ihm zu etwas gratulieren wollten. Keller war schon dreimal eilig herangelaufen gekommen, ebenfalls mit dem offensichtlichen Wunsch, zu gratulieren; er begann jedesmal mit enthusiastischen, unklaren Redensarten, die er aber nie zu Ende brachte, und verschwand schnell wieder. (Er hatte in den letzten Tagen angefangen, in einer Wirtschaft besonders stark zu trinken und in einem Billardlokal zu randalieren.) Selbst Kolja begann trotz seines Kummers ebenfalls ein paarmal ein unklar andeutendes Gespräch mit dem Fürsten.
Der Fürst fragte Lebedjew geradeheraus und in etwas gereiztem Ton, was er über den jetzigen Zustand des Generals denke, und warum sich dieser in solcher Unruhe befinde. Mit wenigen Worten erzählte er ihm die Szene, die am Vormittag stattgefunden hatte.
»Jeder Mensch hat seine Unruhe, Fürst, und ... besonders in unserer seltsamen, unruhigen Zeit; jawohl!« antwortete Lebedjew etwas trocken und verstummte dann gekränkt, mit der Miene eines Mannes, der sich in seinen Erwartungen arg getäuscht sieht.
»Was sprechen Sie für philosophische Gedanken aus!« sagte der Fürst lächelnd.
»Die Philosophie ist etwas Notwendiges; gerade für unser Zeitalter wäre es sehr notwendig, sie auf das praktische Leben anzuwenden; aber man schätzt diese Wissenschaft zu gering; das ist es. Ich meinerseits,
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