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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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mehr; ich versichere Ihnen, daß ich noch weit mehr erlebte. All das waren nur armselige politische Ereignisse. Aber ich wiederhole Ihnen, ich war Zeuge der nächtlichen Tränen und Seufzer dieses großen Mannes; und das hat niemand gesehen und gehört außer mir! In der letzten Zeit weinte er allerdings nicht mehr; er hatte keine Tränen mehr; er stöhnte nur noch manchmal; aber sein Gesicht umwölkte sich immer düsterer. Die Ewigkeit umschattete ihn schon gleichsam mit ihren dunklen Flügeln. Manchmal verbrachten wir nachts ganze Stunden allein zusammen in Stillschweigen; der Mameluck Roustan schnarchte im Nebenzimmer; dieser Mensch hatte einen furchtbar festen Schlaf. ›Dafür ist er mir und der Dynastie treu‹, pflegte Napoleon von ihm zu sagen. Einmal war mir furchtbar schwarz ums Herz, und er bemerkte plötzlich Tränen in meinen Augen; er blickte mich gerührt an: ›Du bemitleidest mich!‹ rief er; ›du bemitleidest mich, mein Kind, und vielleicht bemitleidet mich noch ein anderes Kind, mein Sohn, le roi de Rome; alle übrigen hassen mich, und meine Brüder werden die ersten sein, die mich in meinem Unglück verraten!‹ Aufschluchzend stürzte ich zu ihm hin; da konnte auch er sich nicht mehr beherrschen; wir umarmten uns, und unsere Tränen vermischten sich miteinander. ›Schreiben Sie, schreiben Sie einen Brief an die Kaiserin Josephine!‹ rief ich ihm weinend zu. Napoleon fuhr zusammen, überlegte einen Augenblick und sagte dann zu mir: ›Du erinnerst mich an ein drittes Herz, das mich liebt; ich danke dir, mein Freund!‹ Darauf setzte er sich hin und schrieb jenen Brief an Josephine, mit dem Constant am folgenden Tag weggeschickt wurde.«
    »Das war schön von Ihnen gehandelt«, sagte der Fürst. »Inmitten all der bösen Gedanken haben Sie ihn zu einem guten Gefühl hingeleitet.«
    »Ganz richtig, Fürst! Und wie schön Sie das ausdrücken, ganz in Übereinstimmung mit Ihrem eigenen Herzen!« rief der General entzückt, und seltsamerweise blinkten wirkliche Tränen in seinen Augen. »Ja, Fürst, ja, das war ein großartiges Schauspiel! Und wissen Sie, ich wäre beinah mit ihm nach Paris gegangen und hätte dann schließlich sein Los auf der heißen Verbannungsinsel geteilt; aber leider gingen unsere Lebenswege auseinander! Wir trennten uns: er ging nach der heißen Insel, wo er sich vielleicht in einem Augenblick tiefen Grams wenigstens einmal noch an die Tränen des armen Knaben erinnert haben mag, der ihn in Moskau umarmt und von ihm Abschied genommen hatte; ich dagegen kam in das Kadettenkorps, wo ich nichts fand als Drill, rohes Benehmen der Kameraden und ... Ach, alles war zu Ende! ›Ich will dich deiner Mutter nicht entziehen und werde dich daher nicht mitnehmen!‹ sagte er zu mir an dem Tag, an dem der Rückzug begann; ›aber ich würde gern etwas für dich tun.‹ Er stieg schon zu Pferde. ›Schreiben Sie mir etwas zum Andenken in das Album meiner Schwester!‹ sagte ich schüchtern; denn er war sehr zerstreut und finster. Er drehte sich um, verlangte eine Feder und nahm das Album hin. ›Wie alt ist deine Schwester?‹ fragte er mich, die Feder schon in der Hand haltend. ›Drei Jahre‹, antwortete ich. ›Petite fille alors.‹ Er schrieb in das Album:
     
    ›Ne mentez jamais!‹
    ›Napoléon, votre ami sincère.‹
     
    Ein solcher Rat und in einem solchen Augenblick; Sie müssen selbst sagen, Fürst ...«
    »Ja, das ist bedeutsam.«
    »Dieses Blatt hing in einem goldenen Rahmen unter Glas bei meiner Schwester, solange sie lebte, in ihrem Salon an der augenfälligsten Stelle, bis zu ihrem Tod (sie starb im Wochenbett); wo es jetzt ist, weiß ich nicht ... Aber ... ach, mein Gott! Es ist schon zwei Uhr! Wie ich Sie aufgehalten habe, Fürst! Es ist unverzeihlich!«
    Der General stand von seinem Stuhl auf.
    »Oh, im Gegenteil!« stammelte der Fürst. »Sie haben mich so schön unterhalten, und ... Ihre Mitteilungen waren so interessant; ich bin Ihnen so dankbar!«
    »Fürst!« sagte der General, indem er ihm wieder schmerzhaft die Hand drückte und ihn mit glänzenden Augen unverwandt anblickte, wie wenn er selbst auf einmal zur Besinnung gekommen und von einem plötzlichen Gedanken überrascht wäre. »Fürst! Sie sind ein so guter, ein so harmloser Mensch, daß Sie mir manchmal geradezu leid tun. Ich sehe Sie mit inniger Rührung an; Gott segne Sie! Möge Ihr Leben in Liebe beginnen und erblühen! Das meinige ist abgeschlossen! Oh, verzeihen Sie, verzeihen Sie!«
    Er ging

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