Der Idiot
hatte. Er dachte zum Beispiel jetzt nicht mehr darüber nach, warum sie damals, als ihre Verheiratung mit ihm bevorstand, unter Tränen, Verwünschungen und Vorwürfen geflüchtet war und jetzt selbst auf Beschleunigung der Hochzeit drang. Der Fürst meinte, sie fürchte also nicht mehr wie damals, daß die Ehe mit ihr ihn unglücklich machen werde. Ein so schnell herangewachsenes Selbstvertrauen konnte seiner Ansicht nach bei ihr nicht natürlich sein. Andrerseits konnte dieses Selbstvertrauen nicht allein aus Haß gegen Aglaja hervorgehen: Nastasja Filippowna verstand doch etwas tiefer zu empfinden. Auch nicht aus Furcht vor ihrem Schicksal an Rogoschins Seite. Mit einem Wort: hier mochten alle diese Ursachen, mit noch andern vereint, zusammenwirken; aber ganz klar war ihm, daß hier gerade dasjenige Übel vorlag, das er schon lange geahnt hatte, ein Übel, dem die arme, kranke Seele keinen Widerstand mehr leisten konnte. All dies befreite ihn zwar bis zu einem gewissen Grad von Zweifeln, vermochte ihm aber in dieser ganzen Zeit nicht zu seelischer Ruhe und Erholung zu verhelfen. Manchmal bemühte er sich, an nichts zu denken; die Ehe schien er tatsächlich als eine unwichtige Formalität zu betrachten; auf sein eigenes Schicksal legte er dabei sehr wenig Wert. Was Erörterungen und Gespräche von der Art anlangte, wie er sie mit Jewgeni Pawlowitsch gehabt hatte, so hätte er dabei schlechterdings nichts zu antworten gewußt und fühlte sich dazu völlig unfähig; er ging daher allen derartigen Gesprächen aus dem Weg.
Er hatte übrigens bemerkt, daß Nastasja Filippowna sehr wohl wußte und verstand, was Aglaja für ihn bedeutete. Sie sprach nicht darüber; aber er sah, welchen Ausdruck ihr Gesicht annahm, wenn sie ihn manchmal, noch in der ersten Zeit, in dem Augenblick traf, wo er sich fertig machte, um zu Jepantschins zu gehen. Als Jepantschins wegzogen, strahlte sie ordentlich. Wie unaufmerksam und achtlos er auch war, so hatte ihn doch der Gedanke beunruhigt, Nastasja Filippowna könne absichtlich einen Skandal herbeiführen, um Aglaja aus Pawlowsk zu vertreiben. Das Gerede und Geklatsch über die Hochzeit in allen Landhäusern war sicherlich zum Teil von Nastasja Filippowna selbst absichtlich genährt, um ihre Nebenbuhlerin zu reizen. Da es schwer war, der Familie Jepantschin auf der Straße zu begegnen, so ließ Nastasja Filippowna einmal den Fürsten zu sich in den Wagen steigen und gab Befehl, unmittelbar an den Fenstern des Jepantschinschen Landhauses vorbeizufahren. Das war für den Fürsten eine höchst peinliche Überraschung; er merkte es nach seiner Gewohnheit erst, als sich schon nichts mehr daran ändern ließ und der Wagen bereits dicht an den Fenstern vorbeifuhr. Er sagte nichts, war aber nachher zwei Tage lang krank, und Nastasja Filippowna wiederholte dieses Experiment nicht zum zweitenmal. In den letzten Tagen vor der Hochzeit wurde sie sehr nachdenklich; sie überwand schließlich jedesmal ihre Traurigkeit und wurde wieder heiter; aber es war eine stillere Heiterkeit, nicht so laut und glückselig wie früher und noch vor kurzem. Der Fürst verdoppelte seine Aufmerksamkeit. Auffallend war ihm, daß sie nie von Rogoschin mit ihm zu reden anfing. Nur einmal, etwa fünf Tage vor der Hochzeit, schickte Darja Alexejewna plötzlich zu ihm, er möchte sofort kommen, Nastasja Filippowna befinde sich sehr schlecht. Er fand sie in einem Zustand, der mit völliger Geistesstörung Ähnlichkeit hatte: sie schrie und zitterte und rief, Rogoschin habe sich im Garten bei ihrem Haus versteckt; sie habe ihn soeben gesehen; er werde sie in der Nacht ermorden ... ihr den Hals abschneiden! Den ganzen Tag konnte sie sich nicht wieder beruhigen. Aber als an demselben Abend der Fürst auf einen Augenblick zu Ippolit ging, erzählte ihm die Hauptmannsfrau, die soeben von Petersburg zurückgekehrt war, wohin ihre Geschäfte sie zu fahren veranlaßt hatten, es sei dort an diesem Tag Rogoschin zu ihr in die Wohnung gekommen und habe sie allerlei nach Pawlowsk gefragt. Auf die Frage des Fürsten nach der genaueren Zeit, zu welcher Rogoschin bei ihr gewesen sei, gab die Hauptmannsfrau fast dieselbe Stunde an, zu welcher Nastasja Filippowna ihn am nämlichen Tag in ihrem Garten gesehen zu haben glaubte. Die Sache erwies sich also als eine einfache Sinnestäuschung: Nastasja Filippowna ging selbst zu der Hauptmannsfrau hin, um sie genauer zu befragen, und fühlte sich außerordentlich beruhigt.
Am Tag vor der Hochzeit
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