Der Idiot
hereingekommen seien und ihnen immer noch andere folgten. Mehrere Stimmen redeten und schrien zugleich; auch auf der Treppe wurde geredet und geschrien; denn die Tür, die vom Vorzimmer dorthin führte, war, wie man hören konnte, nicht wieder geschlossen worden. Es war offenbar ein höchst sonderbarer Besuch. Alle sahen einander an; Ganja eilte nach dem Wohnzimmer; aber auch in das Wohnzimmer drangen schon mehrere Menschen ein.
»Ah, da ist er ja, der Judas!« rief eine Stimme, die dem Fürsten bekannt vorkam. »Guten Tag, Ganja, du Schuft!«
»Ja, das ist er in eigener Person!« bestätigte eine andere Stimme.
Der Fürst konnte nicht daran zweifeln: die eine Stimme war die Rogoschins, die andere die Lebedjews.
Ganja stand wie vor den Kopf geschlagen auf der Schwelle des Salons und sah schweigend und ohne es zu hindern zu, wie hinter Parfen Rogoschin her zehn oder zwölf Menschen einer nach dem andern in das Wohnzimmer eintraten. Die Gesellschaft war sehr buntscheckig und zeichnete sich nicht nur durch ihre Buntscheckigkeit, sondern auch durch ihr seltsames Benehmen aus.
Einige traten so ein, wie sie von der Straße kamen, im Überzieher und Pelz. Ganz betrunken waren diese Leute übrigens nicht; jedoch machten sie sämtlich den Eindruck, daß sie stark angeheitert seien. Sie schienen alle einer des andern zu bedürfen, um den Mut zum Eintritt zu finden; jeder einzelne hätte nicht Kühnheit genug besessen, aber alle schoben sich sozusagen wechselseitig vorwärts. Selbst Rogoschin schritt nur mit großer Vorsicht an der Spitze dieses Trupps einher; aber er hatte augenscheinlich irgendwelche Absicht und schien traurig, gereizt und sorgenvoll zu sein. Die übrigen bildeten nur den Chor oder, besser gesagt, eine Hilfstruppe. Außer Lebedjew war da auch der schön frisierte Saloschew, der seinen Pelz im Vorzimmer abgelegt hatte und nun in gewandter, stutzerhafter Art eintrat, und zwei oder drei Herren von ähnlicher Art wie er, offenbar aus dem Kaufmannsstand; ferner einer in einem halbmilitärischen Paletot; dann ein kleiner, sehr dicker Mensch, der beständig lachte; ein Herr von gewaltiger Körpergröße, der gleichfalls ungewöhnlich dick war, sehr finster aussah, sich schweigsam verhielt und offenbar große Hoffnungen auf seine Fäuste setzte. Auch ein
Studiosus
medicinae
war da und ein scharwenzelnder Pole. Von der Treppe her blickten noch zwei undefinierbare Damen ins Vorzimmer herein, wagten aber nicht einzutreten; Kolja schlug ihnen die Tür vor der Nase zu und sicherte sie durch Vorlegung des Hakens.
»Guten Tag, Ganja, du Schuft! Na? Parfen Rogoschins Besuch hast du wohl nicht erwartet?« wiederholte Rogoschin, indem er nach dem Salon zu ging und in der Tür vor Ganja stehenblieb.
Aber in diesem Augenblick wurde er plötzlich im Salon, sich gerade gegenüber, Nastasja Filippownas ansichtig. Es schien, daß er es sich nicht hatte träumen lassen, sie hier zu treffen; denn ihr Anblick übte auf ihn eine außerordentliche Wirkung aus: er wurde so blaß, daß sogar seine Lippen eine bläuliche Färbung annahmen.
»Also ist es wahr!« sagte er mit ganz verstörtem Gesicht leise vor sich hin. »Nun ist alles zu Ende ...! Aber ... das sollst du mir jetzt büßen!« fügte er zähneknirschend hinzu und blickte Ganja mit maßloser Wut an. »Oh ... ach ...!«
Er konnte kaum Luft holen und redete nur mühsam. Mechanisch trat er in den Salon hinein; aber als er die Schwelle überschritt, erblickte er plötzlich Nina Alexandrowna und Warja und blieb, trotz all seiner Aufregung einigermaßen verlegen, stehen. Hinter ihm kam Lebedjew, der ihn wie sein Schatten begleitete und schon stark betrunken war, dann der Student, der Herr mit den Fäusten, Saloschew, der sich nach rechts und nach links verbeugte, und endlich drängte sich noch der kleine Dicke durch.
Die Anwesenheit der Damen hielt sie alle noch ein wenig im Zaum und war ihnen offenbar recht störend, natürlich nur bis es »losging«, bis sich der erste Anlaß bot, ein Geschrei zu erheben und »loszulegen« ... Dann war nicht zu erwarten, daß sie sich von irgendwelchen Damen würden hindern lassen.
»Was? Du auch hier, Fürst?« sagte Rogoschin zerstreut; er war etwas verwundert, den Fürsten hier zu treffen. »Immer noch in Gamaschen ...! Ach!« seufzte er; er hatte den Fürsten bereits vergessen, richtete seine Blicke wieder auf Nastasja Filippowna und rückte ihr, wie von einem Magnet angezogen, immer näher.
Nastasja Filippowna betrachtete die
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