Der Idiot
kämpfen ...«
»Mit Kugeln?« rief Nastasja Filippowna aus.
»Sie sitzen hier, in meiner Brust; ich habe sie vor Kars erhalten, und bei schlechter Witterung spüre ich sie. In allen anderen Beziehungen lebe ich wie ein Philosoph, gehe spazieren, spiele in meinem Café Dame wie ein Bourgeois, der sich von den Geschäften zurückgezogen hat, und lese die ›Indépendance‹. Aber mit unserem Portos, dem General Jepantschin, bin ich infolge einer Geschichte, die sich vor zwei Jahren mit einem Bologneserhündchen zutrug, völlig auseinandergekommen.«
»Mit einem Bologneserhündchen! Wie hängt denn das zusammen?« fragte Nastasja Filippowna äußerst neugierig. »Mit einem Bologneserhündchen? Erlauben Sie, und auf der Eisenbahn ...!« Sie schien etwas in ihrem Gedächtnis zu suchen.
»Oh, es ist eine dumme Geschichte, die nicht verdient, daß man sie noch einmal erzählt. Es handelt sich dabei um eine Mrs. Smith, eine Gouvernante der Fürstin Bjelokonskaja; aber ... es lohnt nicht der Mühe, es zu erzählen.«
»Aber unbedingt müssen Sie es erzählen!« rief Nastasja Filippowna lustig.
»Auch ich habe diese Geschichte noch nicht gehört«, bemerkte Ferdyschtschenko. »C'est du nouveau.«
»Ardalion Alexandrowitsch!« rief Nina Alexandrowna wieder in flehendem Ton.
»Papa, es fragt jemand nach Ihnen«, sagte Kolja.
»Es ist eine dumme Geschichte, und sie läßt sich in wenigen Worten erzählen«, begann der General sehr selbstzufrieden. »Vor zwei Jahren, ja, vor noch nicht ganz zwei Jahren, die Eröffnung der neuen ... skischen Eisenbahn hatte soeben stattgefunden, mußte ich in einer für mich sehr wichtigen Angelegenheit (es handelte sich um den Austritt aus meiner dienstlichen Stellung) eine Reise machen; ich war schon in Zivil und nahm mir ein Billett erster Klasse. Ich stieg ein, setzte mich hin und rauchte. Das heißt, ich fuhr fort zu rauchen; angesteckt hatte ich mir die Zigarre schon vorher. Ich war in dem Abteil ganz allein. Das Rauchen ist nicht verboten, aber auch nicht erlaubt, es ist so halb erlaubt und geschieht üblicherweise; na, und es kommt auch auf die Person des Betreffenden an. Das Fenster war heruntergelassen. Plötzlich, kurz bevor die Lokomotive pfiff, stiegen zwei Damen mit einem Bologneserhündchen ein und setzten sich mir gerade gegenüber; sie hatten sich verspätet; die eine war höchst elegant gekleidet, in Hellblau; die andere bescheidener, in einem schwarzseidenen Kleid mit einer Pelerine. Sie waren beide hübsch, machten aber hochmütige Gesichter und sprachen Englisch. Ich kümmerte mich natürlich nicht um sie und rauchte weiter. Das heißt, ich dachte schon daran, aufzuhören; aber da das Fenster offen war, so rauchte ich weiter, zum Fenster hinaus. Das Bologneserhündchen lag ruhig auf dem Schoß der hellblauen Dame; es war ein kleines Tier, so groß wie eine Faust, schwarz, mit weißen Pfoten, geradezu eine Seltenheit; es hatte ein silbernes Halsband mit einer Inschrift darauf. Ich kümmerte mich um nichts, merkte aber, daß die Damen sich ärgerten, offenbar über meine Zigarre. Die eine starrte mich durch ihre schildpattne Lorgnette an. Ich blieb dabei, mich nicht um sie zu kümmern; denn sie sagten ja kein Wort zu mir! Sie hätten doch reden, mich ersuchen, mich bitten können; wozu hat der Mensch denn schließlich seine Zunge? Aber nein, sie schwiegen ... Auf einmal (und zwar, wie ich Ihnen sage, ohne die geringste, das heißt ohne die allergeringste vorhergehende Bemerkung, ganz wie wenn sie von Sinnen gekommen wäre) reißt mir die Hellblaue die Zigarre aus der Hand und wirft sie aus dem Fenster. Der Zug sauste dahin; ich wußte gar nicht, wie mir geschehen war. Das mußte ein tolles Frauenzimmer sein, ein tolles Frauenzimmer, von einer ganz tollen Sorte; im übrigen war es ein stattliches Weib, üppig, hochgewachsen, blond, mit roten (fast zu roten) Backen, und ihre Augen funkelten mich nur so an. Ohne ein Wort zu sagen, nähere ich mich mit der größten Höflichkeit, mit der vollendetsten Höflichkeit, sozusagen mit der raffiniertesten Höflichkeit dem Bologneserhündchen, fasse es ganz behutsam mit zwei Fingern am Genick und werfe es der Zigarre nach aus dem Fenster! Es winselte nur ein wenig! Der Zug sauste weiter.«
»Sie sind ein Unmensch!« rief Nastasja Filippowna lachend und klatschte wie ein kleines Mädchen in die Hände.
»Bravo, bravo!« rief Ferdyschtschenko.
Auch Ptizyn, dem das Erscheinen des Generals gleichfalls sehr unangenehm gewesen war,
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