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Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition)

Titel: Gretchen: Ein Frankfurter Kriminalfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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FREITAG, 2. AUGUST 1771
    AM ABEND zwischen neun und zehn Uhr, es war noch recht warm, wurde dem Jüngeren Bürgermeister der kaiserlichen freien Reichsstadt Frankfurt am Main gemeldet, eine Weibsperson sei in Begleitung des Sergeanten Brand vor seinem Haus erschienen und begehre ihn zu sprechen. Es sei dringend. In einer Kriminalsache.
    Der derzeitige Jüngere Herr Bürgermeister, wie üblich wohlgeboren und hochgebietend, hieß Dr.   Siegner, war jung zwar qua Amtes, doch ansonsten sechsundfünfzig und fühlte sich durch die späte Störung sehr inkommodiert. Eben erst hatte er sich diverser drückender Beschwernisse wie Rock, Weste und Schuhen entledigt, um im Hemd und mit hochgelegten nackten Füßen einige französische Bonbons nebst einem Glas Milch zu genießen. In einem halben Stündchen spätestens gedachte er ins Bett zu gehen.
    Und nun das.
    Also bittschön, es werde doch gar so dringlich nicht sein, bemerkte er, nur halb überzeugt, und warf sich aus Trotz noch schnell das erste Bonbon in den Mund.
    «Aja doch, wohl schon», befand der Diener. «Ansonsten hätt ja auch der Sergeant Brand das Weib so spät gewiss nicht hergeführt.»
    «Was für eine Weibsperson eigentlich?»
    «Aja, so dreißig, fünfunddreißig Jahr alt, nicht schön, nicht hässlich.»
    «Dame oder nicht?»
    «Nur eine ganz gewöhnliche Person. Trägt eine Kittelschürz am Leib, die hat auch schon bessre Tag gesehen.»
    Unterdessen hat der Jüngere Herr Bürgermeister mit Hilfe seines Dieners Weste, Samtrock sowie den mit goldenen Troddeln gebundenen Kragen bereits wieder angetan und begibt sich schweren Schrittes zu seinem Büro. Nicht zu seinem offiziellen, das sich samt Audienzsaal selbstredend im Rathaus Zum Römer befindet. Vielmehr betritt er lediglich seine private anwaltliche Schreibstube, die er nur in seltenen Notfällen zum dienstlichen Empfang benutzt. Auf dem Tisch liegt noch die vorhin dort achtlos hingeworfene Perücke. Die setzt der Herr Bürgermeister, als er sich auf dem Lehnstuhl niederlässt, wieder auf, ein bisschen schief zwar, aber beinahe ist er jetzt amtlich angetan.
    Nur die Schuhe und Strümpfe, die hat er weggelassen. Wird unter dem Tisch niemandem auffallen, denkt er, na und wenn schon, da es sich ja lediglich um eine gewöhnliche Weibsperson handelt.
    Die wird nun hereingeführt, begleitet von dem Sergeanten Brand. Den Brand kennt der Jüngere Herr Bürgermeister übrigens bestens, da nämlich der Sergeant sein persönlicher Ordonnanzoffizier ist, der ihm bei den regulären täglichen Audienzen im Römer zur Seite steht. Eine pflichtbewusste, anständige Person, der Brand, hat es nicht umsonst aus eigner Kraft zur bürgermeisterlichen Ordonnanz gebracht. Heut Abend allerdings, da hat er es mit der Pflicht wohl etwas zu genau genommen. Hätt doch sicher auch bis morgen warten können, die Sach.
    Nun aber zackig, beschließt Dr.   Siegner und drückt die Schultern durch. Fest in die Backentasche mit dem Bonbon. In die Tinte mit der Feder. Er wird rasch selbst Notizen fürs Protokoll machen, statt umständlich den städtischen Aktuarius herbeizurufen. Je eher er mit der Weibsperson fertig ist, desto eher kann er zurück zu seinem Glas Milch.
    «Wie heißt Sie?», fragt er also die kaum Eingetretene unvermittelt und etwas barsch. Die, blaubeschurzt, schluckt vernehmlich.
    «Ursula Königin. Die Frau vom Tambour König von der Garnison.»
    Der Sergeant Brand macht Anstalten, etwas zuzusetzen, doch der Jüngere Herr Bürgermeister gibt ihm, mit der Rechten kritzelnd, mit der Linken ein Zeichen, dass er während der Formalitäten den Mund halten soll.
    «Geborene?»
    «Brandin.»
    «Sie ist eine geborene Brand? Eine Verwandtschaft etwa zu dem anwesenden Sergeanten?»
    «Ja.»
    «Inwiefern?»
    «Mein seliger Vater war der Gefreite Brand, der Bruder vom Vater vom Elias. Also, vom Sergeanten.»
    «Will heißen, der Sergeant ist Ihr Cousin?»
    «Ganz recht.»
    Dr.   Siegner gibt das Bonbon aus der Backentasche frei und lutscht fest daran, wobei er ein schmatzendes Geräusch hören lässt. Die Sache wird ja allmählich suspekt! Der Brand hat ihm doch nicht etwa, seine privilegierte Stellung missbrauchend, eine Bagatellsache aus der eigenen Familie angeschleppt? Am Ende gar ein gestohlenes Wäschestück oder entwendetes Huhn! Er legt demonstrativ erst einmal die Feder beiseite und lehnt sich im Stuhl zurück.
    «Nun, was will Sie mir also anzeigen?»
    «Meine Schwester. Meine jüngste Schwester will ich

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