Der Idiot
zum Duell herausfordere, der sei ein Lump. Er ist übrigens schrecklich reizbar; ich lasse mich nie mehr darauf ein, mit ihm zu disputieren. Also da hat Nastasja Filippowna Sie gleich zu sich eingeladen?«
»Das ist es ja eben, daß sie das nicht getan hat.«
»Aber wie können Sie dann zu ihr hingehen?« rief Kolja erstaunt und blieb sogar mitten auf dem Trottoir stehen. »Und ... und in diesem Anzug? Es ist doch da heute eine Abendgesellschaft nur für geladene Gäste!«
»Ich weiß auch tatsächlich nicht, wie ich Einlaß finden werde. Empfängt sie mich, gut; wenn nicht, nun, so ist die Sache eben mißglückt. Und was den Anzug angeht, was ist da zu machen?«
»Führt Sie denn eine besondere Angelegenheit dorthin? Oder gehen Sie nur hin, pour passer le temps in ›feiner Gesellschaft‹?«
»Nein, ich habe eigentlich ... das heißt, ich habe allerdings eine besondere Angelegenheit ... es ist schwer, das auszudrücken, aber ...«
»Nun, von welcher Art Ihre Angelegenheit genauer ist, das ist ja nur Ihre Sache; mir ist die Hauptsache, daß Sie sich da heute abend nicht einfach in die entzückende Gesellschaft von Kameliendamen, Generälen und Halsabschneidern eindrängen wollen. Wenn das Ihre Absicht wäre, dann würde ich (verzeihen Sie, Fürst!) Sie auslachen und verachten. Hier gibt es sehr wenige ehrenhafte Leute, und man kann eigentlich niemanden so recht von Herzen hochachten. Unwillkürlich gewöhnt man sich da, von oben auf sie herabzublicken, und dabei wollen sie doch alle respektiert sein; Warja in erster Linie. Und haben Sie wohl bemerkt, Fürst: in unserem Zeitalter sind alle Menschen Abenteurer! Ganz besonders bei uns in Rußland, in unserm lieben Vaterland. Und wie sich das alles so herausgebildet hat, das ist mir unbegreiflich. Alles schien so fest und solide zu sein; und jetzt? Da reden und schreiben nun die Leute überall. Sie decken Übelstände auf. Alle Leute sind bei uns damit beschäftigt, Übelstände aufzudecken. Die Eltern sind die ersten, die den Rückzug antreten und sich ihrer früheren moralischen Grundsätze schämen. In Moskau hat ein Vater seinem Sohn als Lebensregel aufgestellt, vor nichts zurückzuschrecken, wenn es sich darum handelt, Geld zu verdienen; die Sache ist bekanntlich in der Presse besprochen worden. Sehen Sie meinen Vater, den General, an! Was ist aus ihm geworden? Übrigens, wissen Sie was? Mir scheint, daß er ein ehrenhafter Mann ist; wahrhaftig, das glaube ich! Es liegt bei ihm nur an einer gewissen Lässigkeit und am Trinken. Wahrhaftig, so ist es! Er tut mir sogar leid; nur fürchte ich mich, das auszusprechen, weil mich sonst alle auslachen; aber wahrhaftig, er tut mir leid. Und was ist an ihnen, den Klugen, dran? Sie sind sämtlich Wucherer, alle ohne Ausnahme! Ippolit verteidigt den Wucher; er sagt, der sei eine Notwendigkeit, eine wirtschaftliche Erschütterung, eine Art Ebbe und Flut, hol's der Henker! Mir mißfällt das sehr an ihm; aber er verbleibt erbittert bei seiner Meinung. Denken Sie nur: seine Mutter, die Frau Hauptmann, bekommt Geld von meinem Vater und leiht es ihm dann wieder zu hohen Prozenten; ein ganz schändliches Benehmen! Und wissen Sie, daß die Mama, das heißt meine Mama, Nina Alexandrowna, Ippolit mit Geld, Kleidungsstücken, Wäsche und allem möglichen unterstützt und durch ihn zum Teil sogar auch die andern Kinder, weil die von ihrer Mutter vollständig vernachlässigt werden? Und Warja tut dasselbe.«
»Nun, sehen Sie wohl! Sie sagten, es gebe keine ehrenhaften, sittlich starken Menschen, und alle seien Wucherer; da haben Sie ja nun gleich ein paar sittlich starke Menschen: Ihre Mutter und Warja. Hier zu helfen, unter solchen Umständen zu helfen, ist das etwa nicht ein Zeichen sittlicher Kraft?«
»Warja tut es aus Ehrgeiz, aus Prahlsucht, um nicht hinter der Mutter zurückzubleiben; na, aber Mama, die tut es wirklich ... ich empfinde gegen sie Hochachtung. Ja, ich billige und achte eine solche Handlungsweise. Sogar Ippolit hat ein Gefühl dafür; aber er ist fast ganz verbittert. Zuerst wollte er sich darüber lustig machen und nannte es von Mamas Seite eine Gemeinheit; aber jetzt urteilt er manchmal doch anders darüber. Hm! Also Sie nennen das sittliche Kraft? Das will ich mir merken. Ganja weiß nichts davon; sonst würde er es Selbstverweichlichung nennen.«
»Ganja weiß nichts davon? Es scheint, daß Ganja auch sonst sehr vieles nicht weiß«, entfuhr es unwillkürlich dem Fürsten, der sehr nachdenklich geworden
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