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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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in einem Gasthaus ein, um da zu übernachten, und in diesem Gasthaus war kurz vorher, in der vorhergehenden Nacht, ein Mord geschehen, so daß bei meiner Ankunft alle noch davon sprachen: Zwei Bauern, ältere Leute, nicht betrunken, schon lange miteinander bekannt und befreundet, hatten Tee getrunken und wollten sich zusammen in ihrem gemeinsamen Kämmerchen schlafen legen. Aber der eine hatte bei dem andern in den letzten zwei Tagen eine silberne Uhr an einer Schnur mit gelben Glasperlen gesehen, die er offenbar bei ihm früher noch nicht erblickt hatte. Dieser Mann war kein Dieb, er war sogar ein ehrenhafter Mensch und für einen Bauer durchaus nicht arm. Aber die Uhr gefiel ihm dermaßen und hatte für ihn so viel Verlockendes, daß er schließlich nicht mehr widerstehen konnte: er nahm ein Messer, ging, als der Freund sich umgedreht hatte, vorsichtig von hinten an ihn heran, faßte die richtige Stelle ins Auge, richtete den Blick gen Himmel, bekreuzigte sich, und nachdem er im stillen inbrünstig gebetet hatte: ›O Gott, verzeih mir um Christi willen!‹, schnitt er seinem Freund mit einem einzigen Schnitt wie einem Hammel die Kehle durch und nahm ihm die Uhr weg.«
    Rogoshin schüttelte sich vor Lachen. Er lachte so heftig, als hätte er einen Anfall bekommen. Es machte einen ganz seltsamen Eindruck, dieses Lachen zu sehen, nachdem er sich noch kurz vorher in so düsterer Stimmung befunden hatte.
    »Das gefällt mir! Nein, das ist ja ganz vorzüglich!« schrie er krampfhaft und fast außer Atem. »Der eine glaubt überhaupt nicht an Gott, und der andere glaubt so sehr an ihn, daß er sogar bei der Ermordung eines Menschen betet... Nein, Bruder, das ist ja gar nicht auszudenken! Hahaha! Nein, das ist köstlich!«
    »Am andern Morgen schlenderte ich durch die Stadt«, fuhr der Fürst fort, sobald Rogoshin sich einigermaßen beruhigt hatte, obwohl das Lachen immer noch nach Art eines Krampfanfalles auf seinen Lippen zuckte, »da sah ich, wie ein betrunkener Soldat in ganz wüstem Zustand auf dem hölzernen Gehsteig umherschwankte. Er kam auf mich zu und sagte: ›Herr, kauf mir dieses silberne Kreuz ab, ich lasse es dir für zwanzig Kopeken; es ist von Silber!‹ Ich sah, daß er in der Hand ein Kreuz hielt, das er sich jedenfalls eben erst abgenommen hatte; es saß an einem himmelblauen, stark abgenutzten Band, war aber, wie man auf den ersten Blick sehen konnte, nur von Zinn, von großem Format, mit acht Enden, nach einem echt byzantinischen Muster. Ich nahm ein Zwanzigkopekenstück aus der Tasche und gab es ihm, das Kreuz aber band ich mir sogleich um; dem Soldaten konnte man am Gesicht ansehen, wie er sich freute, den dummen Herrn geprellt zu haben; er ging schleunigst davon, um den Erlös für sein Kreuz zu vertrinken. Auf mich, Bruder, machte damals all das, was in Rußland massenhaft auf mich eindrang, einen sehr starken Eindruck; ich hatte in meinem Heimatland vorher für nichts Verständnis gehabt, war wie ein Blinder aufgewachsen, und meine Erinnerungen an Rußland während der fünf Jahre meines Aufenthaltes im Ausland waren höchst phantastischer Art gewesen. Da ging ich also weiter und dachte: ›Nein, ich will über diesen Soldaten, der seinen Christus verkauft hat, doch noch nicht den Stab brechen. Gott weiß, was für Gefühle sich in diesen trunkenen und schwachen Herzen regen.‹ Als ich eine Stunde darauf in mein Gasthaus zurückkehrte, stieß ich auf eine Bauersfrau mit einem Säugling. Es war eine noch junge Frau, das Kind mochte etwa sechs Wochen alt sein. Das Kind lächelte sie an, nach ihrer Beobachtung zum erstenmal seit seiner Geburt. Ich sah, daß sie sich auf einmal mit dem Ausdruck größter Frömmigkeit bekreuzigte. ›Was hast du denn, junge Frau?‹ fragte ich. (Ich erkundigte mich nämlich damals nach allem.) ›Ach‹, sagte sie, ›ebenso wie sich eine Mutter freut, wenn sie ihr Kind zum erstenmal lächeln sieht, ganz ebenso wird sich gewiß auch Gott jedesmal freuen, wenn er vom Himmel sieht, daß ein Sünder von ganzem Herzen betet.‹ Das sagte die Bauersfrau zu mir, fast mit diesen selben Worten, und sprach damit einen überaus tiefen, feinen, echt religiösen Gedanken aus, einen Gedanken, in dem das ganze Wesen des Christentums zugleich zum Ausdruck kommt, das heißt, die Vorstellung von Gott als unserm Vater und von der Freude Gottes über den Menschen, die der Freude eines Vaters über sein Kind gleicht, – der eigentliche Kernpunkt dessen, was Christus gesagt hat. Eine

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