Der Idiot
Bist du jetzt um, ihret willen hergereist? Um dieser Frauensperson willen?«:
»Ich bin nicht hergereist, um zu heiraten«, versetzte der Fürst.
»Ist dir etwas auf der Welt heilig?«
»Ja.«
»Dann schwöre mir, daß du nicht hergereist bist, um die zu heiraten.«
»Ich schwöre es bei allem, was Sie wollen!«
»Ich glaube dir; küsse mich! Endlich kann ich wieder frei atmen. Aber merk dir's: Aglaja liebt dich nicht, richte dich danach; solange ich auf der Welt bin, wird sie nicht deine Frau werden! Hast du gehört?«
»Ja, ich habe es gehört.«
Der Fürst errötete so stark, daß er Lisaweta Prokofjewna nicht gerade in die Augen sehen konnte.
»Nun, dann merk es dir! Ich habe auf dich gewartet wie auf die Vorsehung (was du übrigens nicht wert warst!); ich habe mein Kissen nachts mit Tränen benetzt – nicht deinetwegen, mein Täubchen, mach dir keine Sorgen; ich habe meinen eigenen, anderen Kummer, immer und ewig denselben. Aber der Grund, weshalb ich auf dich mit solcher Ungeduld gewartet habe, ist der: ich glaube immer noch, daß Gott selbst dich mir als meinen Freund und leiblichen Bruder gesandt hat. Ich habe keinen Menschen als die alte Bjelokonskaja, und auch die ist jetzt ausgeflogen und ist überdies infolge ihres hohen Alters dumm wie ein Schaf. Jetzt antworte einfach ja oder nein: weißt du, warum sie neulich die seltsamen Worte aus dem Wagen gerufen hat?«
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nicht dabei beteiligt war und nichts davon weiß!«
»Genug, ich glaube dir. Jetzt fasse ich die Sache anders auf; aber noch gestern vormittag machte ich Jewgenij Pawlytsch für alles verantwortlich. Den ganzen vorgestrigen Tag und gestern vormittag war ich dieser Meinung. Jetzt allerdings kann ich nicht umhin, den andern beizustimmen: es ist offenbar, daß sie sich über ihn wie über einen Dummkopf lustig gemacht hat, aus irgendeinem Grunde, zu irgendeinem Zweck, in irgendeiner Absicht. (Schon das allein ist verdächtig und ganz ungehörig!) Aber Aglaja wird er nicht zur Frau bekommen, das sage ich dir! Er mag ja ein ganz guter Mensch sein, aber es kommt doch so. Früher habe ich noch geschwankt, aber jetzt habe ich mit aller Bestimmtheit erklärt: ›Legt mich erst in den Sarg und versenkt mich in die Erde, dann könnt ihr meine Tochter zur Frau geben, wem ihr wollt!' Das habe ich heute meinem Mann gegenüber ausgesprochen. Siehst du wohl, daß ich dir vertraue? Siehst du das wohl?«
»Ja, ich sehe und verstehe es.«
Lisaweta Prokofjewna blickte den Fürsten durchdringend an: vielleicht wollte sie wissen, welchen Eindruck die Mitteilung über Jewgenij Pawlytsch auf ihn machte.
»Von Gawrila Iwolgin weißt du nichts?«
»Das heißt... ich weiß von ihm vieles.«
»Hast du gewußt, daß er mit Aglaja Beziehungen unterhält?«
»Davon habe ich nicht das geringste gewußt«, erwiderte der Fürst erstaunt; er zuckte sogar zusammen. »Wie? Sie sagen, Gawrila Ardalionowitsch unterhalte Beziehungen mit Aglaja Iwanowna? Unmöglich!«
»Erst seit kurzer Zeit. Seine Schwester hat ihm den ganzen Winter den Weg gebahnt, wie eine Ratte hat sie gewühlt und genagt.«
»Ich glaube es nicht«, wiederholte der Fürst mit fester Stimme, nachdem er ein Weilchen erregt nachgedacht hatte. »Wenn das der Fall wäre, würde ich es sicher wissen.«
»Na ja, er wäre wohl selbst gekommen, wäre dir an die Brust gesunken und hätte es dir unter Tränen gestanden! O du Einfaltspinsel, du Einfaltspinsel! Alle betrügen sie Lisaweta Prokofjewna dachte ein Weilchen nach; dann stürzte sie plötzlich auf den Fürsten zu, ergriff ihn bei der Hand und zog ihn hinter sich her.
»Komm! Sofort! Nun gerade sofort, augenblicklich!« rief sie in einem Anfall starker Erregung und Ungeduld.
»Aber Sie setzen mich ja der Gefahr aus ...«
»Was für einer Gefahr? Du harmloser Tropf! Gerade als ob du kein Mann wärest! Na, jetzt werde ich selbst alles mit eigenen Augen sehen ...«
»Aber lassen Sie mich doch wenigstens meinen Hut nehmen ...«
»Da ist dein abscheulicher Deckel, komm! Du hast nicht einmal soviel Geschmack gehabt, dir eine ordentliche Fasson auszusuchen! ... Das hat sie ... das hat sie nach dem heutigen ... in der Aufregung«, murmelte Lisaweta Prokofjewna, indem sie den Fürsten hinter sich herzog und seine Hand keinen Augenblick losließ. »Vorhin habe ich dich noch verteidigt und habe laut erklärt, es sei dumm von dir, daß du nicht kämest ... Sonst hätte sie ja auch nicht einen so sinnlosen Brief
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