Der Idiot
quälte sich mit ihrem Mißtrauen, war beständig außer sich, fand bei ganz gewöhnlichen Dingen, die ihr zustießen, keinen Ausweg und übertrieb fortwährend das Unglück.
Schon zu Beginn unserer Erzählung haben wir erwähnt, daß Jepantschins sich allgemeiner, aufrichtiger Hochachtung erfreuten. Sogar der General Iwan Fjodorowitsch selbst, ein Mann von geringer Herkunft, wurde überall ohne Widerstreben achtungsvoll empfangen. Diese Achtung verdiente er erstens wegen seines Reichtums und seiner hohen Stellung und zweitens als ein durchaus ordentlicher, wenn auch nicht geistreicher Mann. Aber eine gewisse Stumpfheit des Geistes bildet ja, wie es scheint, eine notwendige Eigenschaft, wenn nicht eines jeden praktisch tätigen Mannes, so doch wenigstens eines jeden, der ernstlich auf Gelderwerb bedacht ist. Endlich besaß der General gute Manieren, war bescheiden, verstand zu schweigen, gleichzeitig aber auch, sich nichts bieten zu lassen, und zwar nicht allein mit Rücksicht auf seinen Generalsrang, sondern auch als ehrenhafter, anständiger Mensch. Das allerwichtigste war, daß er sich starker Protektion erfreute. Was Lisaweta Prokofjewna anlangt, so stammte sie, wie schon oben dargelegt, aus einem vornehmen Geschlecht, obwohl man bei uns auf solche Herkunft keinen großen Wert legt, wenn nicht die notwendigen Verbindungen hinzukommen. Aber auch an denen fehlte es ihr nicht; sie wurde von so hohen Persönlichkeiten geachtet, ja geliebt, daß natürlich auch alle andern sie dementsprechend achten und empfangen mußten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ihre Qualen bezüglich ihrer Familie keinen rechten Anlaß hatten, einer ernsten Ursache entbehrten und in komischer Weise übertrieben waren; aber wenn jemand auf der Nase oder auf der Stirn eine Warze hat, so meint er immer, alle Leute hätten auf der Welt nichts anderes zu tun, als seine Warze anzusehen, darüber zu spotten und ihn deswegen geringzuschätzen, selbst wenn er sich durch die Entdeckung von Amerika verdient gemacht hätte. Es ist auch nicht daran zu zweifeln, daß man in der Gesellschaft Lisaweta Prokofjewna wirklich für eine »verdrehte Schraube« hielt; indes genoß sie trotzdem unstreitig alle Achtung; aber Lisaweta Prokofjewna mochte zuletzt an diese Achtung nicht mehr glauben – und das war das ganze Unglück. Wenn sie ihre Töchter ansah, so quälte sie sich mit dem Verdacht, sie schädige fortwährend deren Lebensweg durch irgend etwas, sie habe einen lächerlichen, taktlosen, unerträglichen Charakter, und natürlich beschuldigte sie deswegen unaufhörlich ihre Töchter und Iwan Fjodorowitsch und zankte sich ganze Tage lang mit ihnen herum, obwohl sie sie gleichzeitig leidenschaftlich und bis zur Selbstvergessenheit liebte.
Am meisten quälte sie die Befürchtung, ihre Töchter könnten ebenso »verdrehte Schrauben« werden wie sie; solche Mädchen wie die ihrigen, meinte sie, gebe es auf der ganzen Welt nicht mehr und könne es auch gar nicht mehr geben. ›Sie werden die reinen Nihilistinnen, das ist's!‹ sagte sie sich alle Augenblicke. Im letzten Jahr und besonders in der allerletzten Zeit hatte sich dieser traurige Gedanke immer mehr und mehr bei ihr festgesetzt. ›Erstens, warum heiraten sie nicht?‹ fragte sie sich fortwährend. ›Um ihre Mutter zu ärgern – darin sehen sie ihren Lebenszweck, und das kommt natürlich alles von den neuen Ideen und der verdammten Frauenfrage! Kam nicht Aglaja vor einem halben Jahr auf den Einfall, sich ihr prächtiges Haar abzuschneiden? (O Gott, solches Haar habe ich in meiner Jugend nicht gehabt!) Sie hatte ja sogar schon die Schere in der Hand, und ich habe sie auf den Knien bitten müssen, es zu lassen! ... Na, die hat das allerdings aus Bosheit getan, um ihre Mutter zu quälen, denn sie ist ein boshaftes, eigenwilliges, verzogenes Mädchen, vor allem boshaft, boshaft, boshaft! Aber wollte nicht die dicke Alexandra es ihr nachmachen und sich ebenfalls ihre Zotteln abschneiden? Und die nicht aus Bosheit und Laune, sondern in aufrichtiger Dummheit, weil Aglaja ihr eingeredet hatte, sie werde ohne Haar besser schlafen und keine Kopfschmerzen mehr haben. Und wie viele, viele Bewerber haben sie nicht in diesen fünf Jahren gehabt? Und es waren doch wirklich nette Männer darunter, sogar ganz prächtige Männer! Worauf warten sie denn noch? Warum heiraten sie nicht? Nur, um ihre Mutter zu ärgern – das ist der einzige Grund! Der einzige! Der einzige!‹
Endlich ging nun auch für ihr
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