Der Idiot
hatte schon vorhin auf ihn starken Eindruck gemacht, und er erinnerte sich jetzt daran. Längst Vergessenes wurde in ihm rege und trat ihm plötzlich klar vor die Seele.
Es war in der Schweiz gewesen, im ersten Jahr seiner Kur, sogar in den ersten Monaten. Er war damals noch ganz wie ein Idiot gewesen, konnte nicht einmal ordentlich sprechen und war manchmal nicht imstande, zu verstehen, was man von ihm wollte. Einmal, an einem klaren, sonnigen Tag, war er in die Berge gegangen und wanderte dort, mit einem qualvollen Gedanken beschäftigt, der jedoch durchaus keine deutliche Gestalt annehmen wollte, lange umher. Über ihm der leuchtende Himmel, unten der See, ringsum in weiter, weiter Entfernung der helle Horizont. Er schaute dies alles lange an und wurde dabei von einem schmerzlichen Gefühl gepeinigt. Er erinnerte sich jetzt, daß er damals seine Hände nach dieser hellen, endlosen Bläue ausgestreckt und geweint hatte. Es war ihm eine Qual gewesen, daß er all dem ganz fremd gegenüberstand. Was war dies für ein Fest, was war dies für ein steter, endloser, großer Feiertag, zu dem es ihn schon lange, schon immer, schon seit seiner Kindheit hinzog, und zu dem er doch nie hingelangen konnte? Jeden Morgen ging dieselbe helle Sonne auf, jeden Morgen stand über dem Wasserfall ein Regenbogen, jeden Abend flammte der höchste schneebedeckte Berg dort in der Ferne am Rand des Himmels in purpurner Glut; jede kleine Fliege, die im warmen Sonnenstrahl um ihn herumsummte, nahm an diesem Fest teil, kannte ihren Platz, liebte ihn und war glücklich, jedes Gräschen wuchs und war glücklich! Und alles hatte seinen vorgeschriebenen Weg, und alles kannte diesen Weg und kam singend und ging singend; nur er wußte nichts und verstand nichts, weder die Menschen noch die Töne, er stand allem fremd gegenüber, er war ein Ausgestoßener. Oh, er konnte seinen Gedanken damals natürlich nicht mit diesen Worten aussprechen und ausdrücken; taub und stumm quälte er sich, aber jetzt schien es ihm, als habe er all dies schon damals gesagt, all diese selben Worte und als habe Ippolit das über die Fliege Gesagte von ihm selbst, aus seinen damaligen Worten und Tränen, übernommen. Er war davon überzeugt, und das Herz begann ihm bei diesem Gedanken heftig zu klopfen ...
Er schlief auf der Bank ein, aber seine Unruhe blieb auch im Schlaf. Unmittelbar vor dem Einschlafen erinnerte er sich daran, daß Ippolit ein Dutzend Menschen ermorden würde, und mußte über das Absurde dieser Vorstellung lächeln. Um ihn herrschte eine schöne, klare Stille, nur die Blätter rauschten leise, und davon schien es ringsumher noch stiller und einsamer zu werden. Er träumte, und es waren lauter unruhige Träume, die ihn alle Augenblicke zusammenschrecken ließen. Schließlich träumte er, es käme eine Frau zu ihm, er kannte sie, kannte sie qualvoll genau; er konnte jedem ihren Namen nennen, sie jedem zeigen, aber seltsam: sie hatte jetzt ein ganz anderes Gesicht als das, welches er immer gekannt hatte, und er gab sich voll innerer Qual alle Mühe, sie nicht als jene Frau wiederzuerkennen. In diesem Gesicht lag so viel Reue und Angst, daß es schien, sie wäre eine furchtbare Verbrecherin und habe soeben eine schreckliche Tat begangen. Eine Träne zitterte auf ihrer blassen Wange; sie winkte ihm mit der Hand und legte den Finger an die Lippen, als wolle sie ihn auffordern, ihr leise zu folgen. Das Herz stand ihm still, um keinen Preis, um keinen Preis wollte er sie für eine Verbrecherin halten, aber er fühlte, daß gleich etwas Schreckliches geschehen würde, durch das sein ganzes Leben beeinflußt würde. Sie schien ihm etwas zeigen zu wollen, ganz in der Nähe, im Park. Er erhob sich, um ihr nachzugehen, und plötzlich hörte er, wie neben ihm jemand frisch und fröhlich lachte, eine Hand befand sich in der seinigen, er faßte diese Hand, drückte sie kräftig und erwachte. Vor ihm stand, laut lachend, Aglaja.
VIII
Sie lachte, war aber zugleich ungehalten.
»Er schläft! Sie haben geschlafen!« rief sie verwundert und geringschätzig.
»Sie sind es!« murmelte der Fürst, der noch nicht ganz zu sich gekommen war und sie mit Erstaunen erkannte. »Ach ja! Das Rendezvous ... Ich habe hier geschlafen.«
»Das habe ich gesehen.«
»Hat mich außer Ihnen niemand geweckt? War außer Ihnen niemand hier? Ich glaubte, es sei ... eine andere Frau hiergewesen.«
»Eine andere Frau sollte hiergewesen sein?«
Endlich hatte er seine Gedanken
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