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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Geburtstag ein paar Anspielungen darauf machte; er ahnte, daß die eigentliche Auseinandersetzung ihm noch bevorstand, und fürchtete sich davor. Dies war der Grund, weshalb er an dem Morgen, mit dem wir unsere Erzählung begonnen haben, schlechterdings keine Lust verspürte, im Kreise der Familie sein Frühstück einzunehmen. Noch bis zur Ankunft des Fürsten war er entschlossen gewesen, sich mit dringenden Geschäften zu entschuldigen und der Sache aus dem Wege zu gehen. Aus dem Wege gehen bedeutete bei dem General manchmal nichts anderes als die Flucht ergreifen. Er wollte wenigstens diesen einen Tag und namentlich den heutigen Abend ohne Unannehmlichkeiten genießen. Da stellte sich plötzlich, wie gerufen, der Fürst ein. ›Den hat mir Gott gesandt!‹ dachte der General im stillen, als er zu seiner Gemahlin ins Zimmer trat.
V
    Die Generalin war auf ihre Abstammung stolz. Wie mußte ihr da zumute sein, als sie so geradezu und ohne alle Vorbereitung hörte, daß dieser letzte Sprößling des Myschkinschen Fürstengeschlechtes, über den ihr bereits einiges zu Ohren gekommen war, nichts weiter als ein kläglicher Idiot und beinah ein Bettler sei und Almosen annehme! Denn der General haschte bei der Schilderung nach Effekt, um gleich von vornherein das Interesse seiner Gattin für ihn zu erwecken und ihre Gedanken irgendwie in eine andere Richtung zu lenken.
    Bei besonderen Ereignissen riß die Generalin gewöhnlich »Ach, liebe Frau, so mußt du das nicht auffassen... übrigens ganz, wie es dir beliebt; ich wollte ihm eine kleine Freundlichkeit erweisen und ihn bei uns verkehren lassen, denn das ist beinahe ein gutes Werk.«
    »Bei uns verkehren lassen? Aus der Schweiz kommt er?
    »Die Schweiz kann dabei nicht hinderlich sein; übrigens noch einmal: ganz, wie du willst. Ich wünschte es deswegen, weil er erstens dein Namensvetter und vielleicht sogar ein Verwandter von dir ist und weil er zweitens nicht weiß, wo er sein Haupt hinlegen soll. Ich dachte sogar, du würdest dich für ihn ein wenig interessieren, da er ja doch zu unserer Familie gehört.«
    »Selbstverständlich, maman, wenn wir mit ihm keine Umstände zu machen brauchen«, sagte Alexandra, die Älteste. »Überdies wird er von seiner Reise hungrig sein; warum sollen wir ihm da nicht etwas zu essen geben, wenn er nicht weiß, wo er bleiben soll?«
    »Und obendrein ist er das reine Kind; man kann mit ihm noch Blindekuh spielen.«
    »Blindekuh spielen? Wieso?«
    »Ach, maman, hören Sie doch bitte auf, sich so anzustellen!« unterbrach Aglaja sie ärgerlich.
    Die Mittlere, Adelaida, ein lachlustiges Ding, konnte sich nicht länger halten und lachte los.
    »Rufen Sie ihn her, Papa, maman erlaubt es«, entschied Aglaja.
    Der General klingelte und gab Befehl, den Fürsten zu rufen.
    »Aber nur unter der Bedingung, daß ihm jedenfalls eine Serviette um den Hals gebunden wird, wenn er sich an den Tisch setzt«, erklärte die Generalin. »Ruft Fjodor oder Mawra ... es soll einer hinter ihm stehen und auf ihn aufpassen, wenn er ißt. Verhält er sich denn wenigstens ruhig, wenn er seine Anfälle bekommt? Schlägt er nicht mit den Armen um sich?«
    »Er ist sogar im Gegenteil sehr wohlerzogen und hat sehr gute Manieren. Etwas zu naiv ist er manchmal... Aber da ist er ja selbst! Hier stelle ich euch den Fürsten Myschkin vor, den Letzten dieses Geschlechtes, einen Namensvetter und vielleicht sogar Verwandten; nehmt ihn freundlich auf! Es findet gleich das Frühstück statt, Fürst; erweisen Sie uns also die Ehre... Mich aber entschuldigen Sie bitte; ich habe mich schon verspätet und muß mich beeilen...«
    »Man weiß schon, wohin Sie es so eilig haben«, sagte die Generalin würdevoll.
    »Ich muß eilen, ich muß eilen, liebe Frau; ich habe mich schon verspätet. Gebt ihm auch eure Albums, mesdames, damit er euch etwas hineinschreibt; er ist ein Kalligraph, wie man ihn selten findet! Dort bei mir in meinem Arbeitszimmer hat er in altertümlicher Schrift geschrieben: ›Der Abt Pafnutij hat dies eigenhändig unterzeichnet‹ ... Nun, auf Wiedersehen!«
    »Pafnutij? Abt? So warten Sie doch, warten Sie doch, wohin wollen Sie denn, und was ist das für ein Pafnutij?« rief die Generalin eigensinnig, ärgerlich und beinah in Aufregung ihrem davoneilenden Gatten nach.
    »Ja, ja, liebe Frau, das war so ein Abt in alten Zeiten ... Aber ich muß zum Grafen; er wartet auf mich, schon lange, und vor allen Dingen: er hat mir die Zeit selbst bestimmt... Auf Wiedersehen,

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