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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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gesehen haben, Fürst!«
    »Ja, das wird das beste sein«, stimmte ihr Adelaida bei. »Der Fürst hat ja im Ausland sehen gelernt.«
    »Das weiß ich nicht, ich habe dort nur meine Gesundheit gebessert; ich weiß nicht, ob ich da auch sehen gelernt habe. Ich bin übrigens dort fast die ganze Zeit über sehr glücklich gewesen.«
    »Glücklich! Sie verstehen es, glücklich zu sein?« rief Aglaja. »Warum sagen Sie dann, daß Sie da nicht sehen gelernt haben? Sie werden in dieser Kunst noch unser Lehrer werden!«
    »Ach ja, bitte, lehren Sie uns!« rief Adelaida lachend.
    »Ich kann Sie nichts lehren«, versetzte der Fürst, gleichfalls lachend. »Ich habe fast die ganze Zeit meines Aufenthalts im Auslande in diesem Schweizer Dorf verlebt; nur selten machte ich einen kleinen Ausflug; was kann ich Sie da lehren? Anfangs beschränkte sich die Besserung darauf, daß das Gefühl des Mißmuts aufhörte, aber bald fing ich an zu genesen; dann wurde mir jeder Tag lieber und teurer, so daß ich dies selbst zu bemerken begann. Ich legte mich immer sehr zufrieden schlafen und fühlte mich noch glücklicher beim Aufstehen. Aber woher das kam, das ist allerdings recht schwer zu erklären.«
    »Sie waren also so zufrieden, daß Sie an keinen anderen Ort wollten, sich sonst nirgendwo hingezogen fühlten?« fragte Alexandra.
    »Zuerst, ganz am Anfang, sehnte ich mich weg, ja, und ich verfiel in große Unruhe. Ich dachte immer darüber nach, wie ich mir mein Leben einrichten könnte, und suchte mein künftiges Schicksal zu erkennen, besonders zu gewissen Zeiten war ich sehr unruhig. Sie wissen, es gibt solche Augenblicke, namentlich wenn man ganz allein ist. Wir hatten dort einen kleinen Wasserfall; er fiel hoch vom Berge herab wie ein dünner Faden, fast senkrecht, weiß, geräuschvoll, schäumend; er fiel hoch herunter und schien doch ziemlich niedrig zu sein; er war eine halbe Werst entfernt, und es kam einem vor, als ob es bis zu ihm nur fünfzig Schritte wären. Ich horchte bei Nacht gern auf sein Rauschen; das waren die Augenblicke, in denen ich manchmal in sehr große Unruhe geriet. Ebenso ging es mir manchmal um die Mittagszeit; ich stieg irgendwohin in die Berge und stand dort dann allein, ringsum alte, große, harzige Tannen, oben auf einem Felsen die Ruinen einer alten mittelalterlichen Burg, unser Dörfchen unten in der Ferne kaum sichtbar; die Sonne brannte, der Himmel war tiefblau, es herrschte eine furchtbare Stille. In solchen Augenblicken zog es mich mitunter weg, und ich hatte immer die Vorstellung, wenn ich nur immer geradeaus gehen könnte, immer weiter und weiter, und die Linie überschreiten könnte, wo Himmel und Erde einander berühren, da würde sich jedes Rätsel lösen, und ich würde sofort ein neues Leben erblicken, ein Leben, das tausendmal frischer und lärmender ist als das unsere; ich malte mir eine große Stadt aus wie Neapel und darin lauter Paläste, Lärm, Getöse, Leben... Ja, in was für Phantasien erging ich mich da! Aber dann schien es mir ein andermal, daß man auch im Gefängnis ein reiches Leben führen könne.«
    »Diesen letzten löblichen Gedanken habe ich schon, als ich zwölf Jahre alt war, in meinem Lesebuch gelesen«, bemerkte Aglaja.
    »Das ist lauter Philosophie«, fügte Adelaida hinzu. »Sie sind ein Philosoph und sind hergekommen, um uns zu belehren.«
    »Da haben Sie vielleicht recht«, erwiderte der Fürst lächelnd. »Vielleicht bin ich tatsächlich ein Philosoph, und wer weiß, vielleicht habe ich wirklich die Absicht, andere zu belehren... Sehr wohl möglich, ja, ja, sehr wohl möglich.«
    »Ihre Philosophie ist ganz von demselben Schlage wie Jewlampija Nikolajewnas Philosophie«, warf Aglaja wieder ein. »Das ist eine Beamtenwitwe, die als arme Klientin manchmal zu uns kommt. Bei der dreht sich alles im Leben um die Wohlfeilheit; so billig wie nur möglich zu leben, das ist ihr Ideal, und sie redet auch von nichts anderem als von Kopeken, aber wohlgemerkt, sie hat Geld, das schlaue Frauenzimmer. Geradeso ist es auch mit Ihrem reichen Leben im Gefängnis und vielleicht auch mit Ihrer vierjährigen glücklichen Existenz im Dorfe, für die Sie Ihr Neapel verkauft haben, und zwar, wie es scheint, mit Gewinn, wenn Sie dafür auch nur ein paar Kopeken bekommen haben.«
    »Was das Leben im Gefängnis anlangt«, erwiderte der Fürst, »so kann man doch anderer Ansicht sein als Sie. Ich habe darüber einen Menschen erzählen hören, der zwölf Jahre im Gefängnis gesessen hatte; er

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