Der im Dunkeln wacht - Roman
Irene auf die andere Seite. Dort drehte sie sich um und trat erst gegen die eine, dann gegen die andere Planke. Das tat richtig weh, aber nachdem sie noch einige weitere Male kräftig dagegen getreten hatte, lösten sie sich endlich und schwammen auf der dunklen Wasserfläche. Daniel würde Zeit verlieren, wenn er versuchte, sie einzuholen. Darüber springen konnte er schlecht. Der Abstand war zu groß. Außerdem musste er langsam balancieren, damit die losen Planken nicht abrutschten. Sonst würde der kleine Daniel noch richtig nass werden.
Dann würde sie sich bereits auf dem Rückweg befinden. Wahrscheinlich kehrte Daniel dann um, aber ohne Taschenlampe gelang
es ihm wohl kaum, schnell durch die Dunkelheit zu kommen. Und wenn er sein Auto endlich wiederfand, würde sie sich vermutlich schon längst in der Sicherheit des Sommerhauses befinden und hätte ihre Kollegen in Torsby von Kristers Handy aus verständigt.
Es wurde ihr wohler bei dem Gedanken, und sie ging rasch weiter.
Ein platschendes Geräusch, und sie blieb wie angewurzelt stehen. Daniel war ins Wasser gefallen. Er schrie nicht, aber sie hörte ihn schnauben und gegen das eiskalte Wasser ankämpfen. Vermischt mit dem Geräusch des Wassers hörte sie ihn zischen: »… kann … nicht … schwimm …« Das welke Riedgras riss einfach mit einem schnappenden Geräusch ab, sobald er ein paar Spitzen, die über das Wasser reichten, erhaschte. Verzweifelt schlug er um sich. Kehlige Schreie stiegen zum nachtschwarzen Himmel auf. Keine Worte, nur angsterfüllte Schreie. Irene hatte seinem Kampf nur eine Minute gelauscht, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor.
Sie müsste umkehren und ihm helfen.
Das müsste sie.
Aber sie tat es nicht.
Er ertrinkt.
Ihre Füße kamen ihr wie nasse Eisklumpen vor. Sie waren wie festgefroren auf den Planken, sie konnte sich nicht bewegen. Der saure Atem des Moors drang unter ihren Pullover. Die Augen der Nacht beobachteten sie. Alle unseligen Geister des Moors packten sie an ihren Knöcheln, um sie ins Wasser zu ziehen. Falls sie sich bewegte, würde es ihnen gelingen.
Sie stand vollkommen reglos da.
Plötzlich wurde es wieder still. Stille. Als hätten alle Wesen des Moors innegehalten, um zu lauschen.
Sie hört nur ihren eigenen Puls an den Schläfen. Auf einmal fällt die Lähmung von ihr ab. Ihre Füße tragen sie so schnell, wie
sie können, über das schmale Holz. Aber sie läuft nicht auf das Wasserloch zu, auf dem die losen Planken neben einer Baseballmütze schwimmen.
Sie läuft in die andere Richtung.
A ber Liebling! Du bist ja ganz nass! Wo warst du? Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
Irene ließ sich auf die unterste Stufe der Treppe zum Obergeschoss sinken und zog, ohne zu antworten, die nassen Schuhe und Strümpfe aus.
»Ich habe versucht, dich auf deinem Handy zu erreichen, bin aber nicht durchgekommen. Ist was passiert?«
»Der Akku ist leer.«
Sie hörte selbst, dass sie den Tränen nahe war. Plötzlich fing sie an zu zittern. Sie konnte nicht aufhören.
»Nimm mich in die Arme«, schluchzte sie.
I ch bedanke mich bei meiner Nichte Karin, dass sie mir ihren Schäferhund Hanko geliehen hat. Er ist wirklich so nett und gehorsam, wie er hier im Buch beschrieben wird.
Egon ist ein süßer kleiner Hund, den ich letztes Jahr flüchtig in Berlin kennenlernte. Wahrscheinlich hieß er nicht Egon, aber ich fand, das sei ein frecher Name für einen ungewöhnlichen kleinen Dackel.
Die Vorfälle in meinen Büchern sind immer erfunden, das gilt auch für die Personen, die in ihnen auftauchen. Wie immer erlaube ich mir große Freiheiten mit den topographischen Gegebenheiten. Ich gestatte mir die künstlerische Freiheit, bei Bedarf die Wirklichkeit der Erzählung anzupassen. Wahrscheinlich haben viele Leute in Västra Frölunda und im Norden Värmlands bei der Lektüre dieses Buches nur erstaunt den Kopf geschüttelt …
Helene Tursten
Die schwedische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Den som vakar i mörkret« bei Piratförlaget, Stockholm.
2. Auflage
Deutsche Erstausgabe November 2010
Copyright © 2010 by Helene Tursten
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by btb Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Published by agreement with Leonhardt & Høier Agency, Copenhagen
Die Bibel wird in leicht abgewandelter Form zitiert nach
der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984,
2. Buch Mose, 20,5, 22,18, 23,21 und 33,27,
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