Der Infekt
zu bezeichnen, obwohl sie doch überall dort verbreitet sind, wo es Lebewesen gibt. Dieses ungute Gefühl rührt vermutlich daher, daß den Viren fehlt, was andere Lebewesen erst zu ebensolchen macht: ein eigener Stoffwechsel. Damit kommt auch eine eigenständige Fortpflanzung nicht in Betracht, und die Viren sind auf stoffwechselnde Lebewesen angewiesen, um sich zu vermehren.
Aber was sind Viren dann, wenn nicht Lebewesen? Unter molekularbiologischem oder auch organisch-chemischem Blickwinkel betrachtet, handelt es sich um eine Proteinhülle, die Nukleinsäure einhüllt; nicht mehr und nicht weniger. Diese Nukleinsäure trägt zum einen die gesamte Information über die Struktur der Hüllproteine des Virus, zum anderen enthält sie Signale, mit deren Hilfe diese Informationen abgerufen werden können.
Dieses Abrufen und Umsetzen der Information allerdings ist das, was den Viren als nicht stoffwechselnden Strukturen eben unmöglich ist. Dazu benötigen sie die Hilfe von voll ausgestatteten Zellen, und diese Hilfe erhalten sie, wenn sie an eine solche Zelle andocken und ihr genetisches Material, die Nukleinsäure, in die Wirtszelle transferieren können, wo sie gegebenenfalls sogar in die zelleigene Erbinformation integriert wird.
Man sollte sich an dieser Stelle klarmachen, daß auch die Infektion von Wirtszellen kein aktiver Prozeß ist. Die Viruspartikel ›schweben‹ passiv herum und müssen deshalb zufällig mit der Oberfläche einer Wirtszelle zusammenstoßen, damit es zu einer Infektion kommen kann. Zudem muß die Wirtszelle auch noch die richtigen Oberflächenmoleküle besitzen, damit der Virus in die Zelle hineinkommen kann, und wenn dies geschehen ist, dann müssen die entsprechenden Proteine der Zelle auch noch in der Lage sein, die Erbinformation des Virus, entweder DNA oder RNA, entsprechend zu prozessieren, d.h. die Information von der Virus-DNA abzulesen und in den Proteinsynthese-Code zu übersetzen. Damit ist die Zelle, wenn auch unfreiwilligerweise, in der Lage, neue Virus-Proteine selbst herzustellen, darunter neue Hüllproteine, aber auch solche, die für den Zusammenbau der Virushülle und den späteren Austritt aus der Wirtszelle verantwortlich sind.
In vielen Fällen hat dieser Austritt für die betroffene Zelle eher negative Folgen, oder um es deutlich zu sagen: Sie geht dabei zugrunde, und Tausende neuer Viruspartikel sind statt dessen bereit, neue Wirtszellen zu befallen.
Aber das ist nicht der einzige unfaire Aspekt bei diesem Vorgang. Wenn die virale DNA nämlich nach ihrem Eintritt in die Zelle in die zelleigene DNA integriert ist, dann ist es durchaus möglich, daß es beim Wiederausschneiden zu Fehlern kommt und daß die neuen Viruspartikel hin und wieder Stücke zelleigener DNA mit auf die weitere Reise nehmen. Bei der nächsten Infektion wird dann zusätzlich zur viralen DNA auch ein Stück zusätzliche Wirts-DNA mit integriert, und je nachdem, welche Information dieses Stück trägt, kann es in der befallenen Zelle zu empfindlichen Störungen der molekularen Regelkreise führen, selbst wenn es sich bei dem Virus nicht um einen lytischen, d.h. die Zelle zerstörenden, handelt. In der Tat sind auf diese Weise die sogenannten Onkogene (oder auch ›Krebsgene‹) entstanden, die manche onkogene, also krebserregende Viren, mit sich herumtragen.
Aus alldem läßt sich entnehmen, daß der Transfer von DNA, oder besser allgemein: Nukleinsäuren, in der Natur eine weitverbreitete Angelegenheit ist. Gentransfer zwischen Organismen oder gar Spezies ist natürlich! Die gesamte Erbinformation, das ›Genom‹ eines Organismus, auch das des Menschen, ist eine dynamische Struktur, die sich dauernd verändert, vielleicht nicht mit unseren Möglichkeiten der Zeitmessung beobachtbar, aber in evolutionären Maßstäben kontinuierlich und mit durchaus bemerkenswerter Geschwindigkeit.
Daß dieser Gentransfer grundsätzlich möglich ist und ständig vor sich geht, hat natürlich der Wissenschaft die Möglichkeit zur Manipulation eröffnet. Da man inzwischen die benötigten Signale in der DNA kennt, auf die die verschiedenen zelleigenen Systeme ansprechen, liegt es natürlich nahe, das Wissen zur Untersuchung molekularbiologischer Grundsatzfragen zu nutzen. Aber auch weiterführende Probleme lassen sich damit angehen. Da Viren in der Lage sind, Zellen zu infizieren und ihre Erbinformation dort ablesen und umsetzen zu lassen, kann man dies natürlich im Prinzip dazu benutzen, jede x-beliebige DNA in
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