Der Infekt
haperte.
Dr. Lorimer und Dr. Heistrom betrachteten nachdenklich einen Rinderkadaver, der in der Box vor ihnen auf dem Boden lag. Der Holsteiner Schecke war am Mittag seiner Infektionskrankheit erlegen; für die beiden Tiermediziner nicht überraschend, hatten sie ihm doch selbst den Virus injiziert.
»Absolut terminierend, diese Krankheit«, konstatierte Lorimer sarkastisch.
Heistrom nickte und deutete dann auf die Boxen hinter sich. »Die anderen Tiere, die wir vorher mit dem neuen Präparat immunisiert haben, sehen dagegen topfit aus.«
»Stimmt«, nickte Lorimer. »Und keine Anzeichen oder Symptome, daß es sie auch noch erwischen könnte. Ich glaube, wir können uns langsam daranmachen, Teile der Herden zu impfen. Zehn Vortests sollten ausreichen.«
»Ich bin Ihrer Meinung, Colin«, erwiderte Heistrom. »In diesem Jahr wird uns diese Mistkrankheit nicht wieder so ins Gehege kommen wie letztes Mal.«
»Vielleicht werden wir dann von oben auch mal gelobt.«
Heistrom blickte seinen Kollegen skeptisch an. »Das können Sie vergessen, Colin. Wenn alles planmäßig läuft, dann ist das definitionsgemäß der Normalfall. Dafür wird keiner gelobt. Nur wenn was schiefgeht, müssen Schuldige gesucht werden.«
Lorimer blickte gedankenverloren auf die tote Kuh in der Versuchsbox. »Na, an uns soll es diesmal nicht liegen«, meinte er.
Mit dieser Einschätzung lag er etwa so weit von der Realität entfernt wie der Andromedanebel von der Milchstraße. Aber das konnte er einfach nicht wissen.
London, Großbritannien
D ie Boeing 757 der British Airways war am frühen Nachmittag vom Wiener Flughafen Schwechat gestartet und setzte jetzt zum Landeanflug auf London Heathrow an. Während der Copilot mit hörbarem Ruck die Landeklappen ausfuhr, näherte sich eine der Flugbegleiterinnen dem Fluggast in der hintersten Reihe des Erste-Klasse-Abteils, um ihn zum Anschnallen aufzufordern. Der dunkelblonde Mann mit dem Stoppelbart hatte nämlich kurz nach dem Start in Wien die Lider über die hellblauen Augen geklappt und den ganzen Flug über tief geschlafen.
Als die Flugbegleiterin ihn an der Schulter berührte, zuckte sie erschrocken zusammen, denn ihr Gast wachte übergangslos auf und lächelte sie ohne das geringste Anzeichen von Verschlafenheit an.
»Was gibt es denn, Schönste?« fragte er freundlich.
Die junge Frau brauchte eine Sekunde, um ihre kurze Verwirrung zu meistern. »Entschuldigen Sie, würden Sie sich bitte anschnallen?«
Idwood Green, achtunddreißig, Beamter des britischen Secret Service, nickte. »Aber selbstverständlich schnalle ich mich an, wenn Sie das wünschen. Was haben Sie denn mit mir vor?«
Die junge Frau blickte ihn tadelnd an. »Aber, Sir, ich bitte Sie! Ich werde lediglich dem Kapitän durchgeben, daß sich auch der letzte Fluggast angeschnallt hat und er jetzt endlich landen kann.«
Bums, dachte Green, Abfuhr. Das Mädel war nicht auf den Mund gefallen. Er blickte ihr anerkennend nach, als sie den Gang hinunterging. Ein bezauberndes Geschöpf. Und außerdem hatte sie Haare wie Jeanne Lumadue, die schönste Journalistin des gesamten British Empire. Und mit Jeanne war er heute abend zum Essen verabredet. Eine Erlösung nach den letzten beiden äußerst langweiligen Wochen in Wien.
Er hatte versucht, einem Ring von Nachrichtenhändlern auf die Spur zu kommen, die Geheimdienstinformationen an die jeweils meistbietende Seite verkauften. Offenbar waren dabei auch britische Agenten mit im Spiel, denn erstens verfügte der polnische Geheimdienst seit kurzer Zeit über die Konstruktionspläne einer neu entwickelten Wasser-Luft-Rakete der Royal Navy, und zweitens hatte er selbst eine Liste mit Namen von Secret-Service-Agenten im Alpenraum erstanden, die die Nachrichtendealer nur durch eine undichte Stelle in London erfahren haben konnten. Wie auch immer, solche Jobs machten ihm keinen rechten Spaß. Akten wälzen, Leute beschatten, sich die Füße wund laufen, und alles nur, um an einen dieser Pfeifenköpfe heranzukommen, die Nachrichten verkauften, die ohnehin bald jeder kannte. Na ja, man mußte irgendwie seine Brötchen verdienen. Aber daß ihm sein Chef, Sir Ronald Abbott, diesen Job angedreht hatte!
Dafür muß er mir beim nächsten Job entgegenkommen, dachte Green und nestelte dabei am Verschluß seines Sicherheitsgurts herum, denn die Maschine hatte inzwischen aufgesetzt und rollte vor dem Abfertigungsgebäude der British Airways aus. Wie immer dauerten das Verlassen des Flugzeugs und die
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