Der Infekt
er die geringe Chance, die er vielleicht noch gehabt hätte. Als er den ersten Schritt zurück in Richtung Kline Tower getan hatte, traf ihn ein harter Handkantenschlag an der Halsseite.
Charles Kossoff war sofort bewußtlos. Er merkte nicht mehr, daß das Pärchen ihn links und rechts unter den Achseln faßte und aufrecht hielt, während die junge Frau eine große Injektionsspritze ohne Kanüle aus der Jackentasche zog. Sie führte ihm die mit nur leicht verdünntem Ethanol gefüllte Spritze tief in den halbgeöffneten Mund und flößte ihm den gesamten Inhalt ein. Danach steckte sie die Spritze wieder in ihre Jackentasche, worauf die beiden, den schlaffen Körper in ihrer Mitte, noch einige Zeit hin- und herspazierten.
Dann zog ihr Begleiter eine kleine Taschenlampe heraus und blinkte dreimal kurz die Allee hinauf. Am oberen Ende der Straße, kurz bevor sie die Prospect Street kreuzte, setzte sich ein dunkler Plymouth in Bewegung. Das ungewöhnliche Liebespaar stand mit seinem Opfer inzwischen unter einem der Alleebäume am Rande der Straße. Als der Plymouth noch etwa zehn Schritte entfernt war, stießen sie den bewußtlosen Charles Kossoff auf die Straße. Der Kopf des Wissenschaftlers prallte auf den Kühlergrill, sein Körper wirbelte über die Motorhaube, knallte an die Windschutzscheibe und flog dann in hohem Bogen in die Straßenmitte. Kossoff war tot, noch bevor sein Körper auf dem Asphalt aufschlug.
Der Fahrer des Plymouth bremste. Dann öffnete er die Tür und stieg aus. Nachdem er sich mit einem kurzen Blick davon überzeugt hatte, daß das ›Liebespaar‹ in Richtung Prospect Street davongegangen war, lief er eiligen Schritts zum ersten Haus an der Ecke Ronan Street und hämmerte mit beiden Fäusten an die Eingangstür. Es dauerte einige Sekunden, bis das Licht im Windfang aufleuchtete und der Hauseigentümer die Tür öffnete.
»Schnell, bitte schnell«, schrie ihn der Mann an, »helfen Sie mir bitte! Rufen Sie die Polizei. Ich habe gerade einen Mann überfahren, gleich hier um die Ecke.«
»Mein Gott«, antwortete der Angesprochene betroffen, »das ist ja schrecklich! Wie ist denn das passiert?«
»Ich … ich weiß nicht. Er stolperte einfach vors Auto. Ich glaube, er war total betrunken.«
Mercedes, Uruguay
A n diesen ersten Augusttagen blies ein kühler Winterwind vom Rio Uruguay herüber durch die unübersehbaren Rinderherden, die auf den Pampas östlich von Mercedes grasten. Die Tiere, größtenteils Holsteiner, drängten sich enger als gewöhnlich aneinander. Für viele von ihnen waren es die letzten Lebenstage, denn die Schlachthäuser in Fray Bentos und Montevideo warteten schon auf Nachschub. Die weitere Bestimmung der verarbeiteten Tiere stand auch bereits fest, zumindest derer, die im Banda-Oriental-Gebiet östlich und südlich von Mercedes gemästet worden waren. Ihr Fleisch landete in leicht veränderter Form zusammen mit einigen Zwiebeln und Tomaten zwischen zwei runden Weißbrothälften und wurde dann nahezu überall auf dem Erdball als Schnellimbiß verzehrt. Die Häute versorgten die Schuhindustrie Uruguays mit dem benötigten Oberlederrohstoff. Etwa zehn Kilometer östlich von Mercedes, an der Straße nach Trinidad und Durazno, leitete ein Stab von Viehzuchtexperten, Tiermedizinern und Managern das Zentrum dieser Rinderzucht. In den flachen, langgestreckten Gebäuden der Breedwell Farms Inc. wurde kalkuliert, gewogen, gemessen, künstlich besamt, Fleisch untersucht und experimentiert. Erkrankte Tiere wurden hier gründlich untersucht, um den jeweiligen Krankheitserregern endlich den Garaus machen zu können. Die mitunter epidemisch auftretenden Wellen von Rindergrippe, Pocken, Tollwut, Maul- und Klauenseuche und ähnlich Widerwärtigem machten häufig die schönsten Produktionskalkulationen zunichte. Im letzten Sommer war es besonders schlimm gewesen. Nahezu fünfzehn Prozent der großen Ostherde waren der Grippe zum Opfer gefallen und hatten damit die reibungslose Fleischgewinnung empfindlich gestört.
Die beiden weißbekittelten, mit Mundschutz und Kopfhaube ausgerüsteten Breedwell- Veterinäre, die gerade in der Infektionsstation Dienst taten, konnten sich nur allzugut an den Anschiß aus der Konzernzentrale erinnern. Für eine Schnellimbißkette, die hauptsächlich von Laufkundschaft abhing, konnte ein stockender Nachschub höchst gefährlich sein. Der größte und schönste Restaurantkonzern nutzte absolut nichts, wenn es mit der Bereitstellung des Hauptproduktes
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