Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
norddeutsch trainieren. Vorhand auf Vorhand im Sekundentakt, bis das Holz des Schlägers um Gnade winselt, für sich und seinen Gummibezug.
Ich genoß es nicht, aber es machte Sinn. Etwas, das Sinn macht, ist nicht unbedingt dasselbe wie etwas, das Sinn hat. Ich werde nie, nimmer und niemals gegen einen wie den Chinesen gewinnen. Vielleicht schaffe ich den Rumänen, aber auch das ist, let’s face it, nicht einmal Wunschdenken, sondern einfach nur so dahingeschrieben. Und was den Abbau von Aggressionen betrifft: Wer so alt ist wie ich, hat eine Menge Fehler im Leben gemacht. So viele, wie es Sterne am Himmel gibt. Und über jeden einzelnen Fehler war ich wütend. Sagen wir, ich lösche mit jedem Schlag einen Stern aus. Wie lange wird es brauchen, bis ich wieder entspannt spielen kann?
Tausend Jahre Tischtennis.
Für Leute wie mich ist Jesus am Kreuz gestorben. Schon nach zwei Stunden wurde ich erlöst. Zwei Stunden sind von tausend Jahren exakt 0,00000022 Prozent. Das ist mehr als umgehend. Das ist sofort. Ein Vater kam mit seinem Sohn. Ich habe keine Ahnung, welche Nationalität. Aber hätte ich den Vater als Hauptdarsteller in einer Kafka-Verfilmung erlebt, müßte ich sagen, so sieht gutes Casting aus. Humor war nicht seine starke Seite, aber er hatte Ehre, und er hatte eine Uhr, auf die er sah, bis wir den letzten Satz beendet hatten. Mir war das scheißegal. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, daß der letzte Satz zu Ende gespielt werden muß, sonst öffnen sich dem Unglück Tür und Tor.
Der Sohn war ein zauberhafter Knirps von vielleicht sieben Jahren. Er war recht klein und konnte gerade mal so über die Platte sehen, und ich war gespannt auf seinen Stil. Während wir unseren Kram zusammenräumten, beobachtete ich sie. Der Vater mit dem strengen Blick legte dem Kleinen die Bälle so sanft vor, daß man glauben konnte, sie seien mit der Windel geschlagen. Und achtzig Prozent davon kamen korrekt zurück. In hohem Bogen zwar, aber der Junge beherrschte die Grundtechniken des Schlagens und freute sich jedesmal, jedes einzelne Mal, wenn er getroffen hatte. Frieden kam über die Platte.
Ping
Ich merke es schon an der Art, wie ich meine Trainingssachen anziehe. Der schwarze Sweater sitzt wie ein Tarnanzug. Die Schnürsenkel zurre ich Öse für Öse fest. Ich hole meinen Schläger aus der Hülle und betrachte ihn. Killer machen das mit ihren Waffen, kurz bevor sie das Hotelzimmer verlassen. Dazu höre ich Tito & Tarantula, die Lieblingsband von Tarantino. Ich nehme die Treppe und nicht den Lift. Am Briefkasten im Stiegenhaus gehe ich aufrecht vorbei. Auf der Straße bleibe ich kurz stehen und inhaliere die Stadtluft. Was habe ich erwartet? Die Bergluft eines japanischen Zenklosters? Ich mag diesen Moment: frisch auf der Straße.
Lufttemperatur? So um die acht Grad. Vorfrühling. Pong? Hungrig, würde ich sagen, er wartet schon auf mich. Er ist für den Ghettoblaster verantwortlich. Ich für die telefonische Anmeldung. Wir teilen diesen erlesenen Platz in der Vorstadt mit anderen Spielern. Begegnungen oder Überschneidungen gibt es so gut wie keine. Jedes Team arbeitet bis zum Schlußgong, dann legen die nächsten los. Kleine, mobile Einheiten, die auftauchen, ihren Job machen und wieder verschwinden. Jetzt ist Nachmittag, wir sind die ersten. Das heißt, der Raum ist schweißfrei und – ebenso wichtig – frei von fremden Energien. Kiffer spüren das, Meister scheren sich nicht mehr darum. Wir hetzen von Beginn an aufeinander wie von der Leine gelassen. Dazu hören wir Madonna. «Ray of Light».
Es geht nicht um Punkte, sondern um Tote. Technische Mängel mache ich durch Entschlossenheit wett. Das löst nicht alle Probleme, aber viele. Selbstzweifel sind die Bodentruppen deines Gegners. Der Schlüssel liegt darin, dem Ball deine Absichten mit auf den Weg zu geben: Ziel, Flugzeit, Rotationsgeschwindigkeit, Bösartigkeit. Tischtennis ist Wettrüsten. Ich arbeite seit zwei Monaten hauptberuflich mit der Vorhand, was meinem Spiel mehr Druck verleiht. Leider ist mir dabei die Rückhand etwas aus dem Blick geraten. Pause.
Pong verbringt sie mit Liegestützen. Er steht dabei aufrecht an der Wand, was einige Abzüge gibt. Dazwischen streift er wie ein Wolf durchs Gehege. Ich würde das auch gern tun. Ich hänge mein Gesicht ins Handtuch und werfe meine Vergangenheit in den Fluß der Zeit. Pong prügelt inzwischen unsichtbare Gegner mit dem Schläger. Ich denke daran, daß er noch immer den Schläger meiner Ex
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