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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Tatsache, dass Körner den Ort so treffend beschrieben hatte.
    Sie kamen an einem Fußballplatz vorbei, dessen Rasen unter Wasser stand, an der Volksschule, einigen Bauernhöfen, Viehställen und einstöckigen Wohnhäusern, deren Dachschindeln längst einer Erneuerung bedurften. Diffuse Kindheitserinnerungen drängten sich in Körners Gedächtnis. Plötzlich sah er eine russische Fellmütze vor sich, mit Ohrenschützern, die ihm bis in den Nacken reichten. Er erinnerte sich an den winterlichen Fußmarsch entlang der Straße, vom Haus seiner Eltern bis zur Schule, einem einfachen Gebäude mit nur einer Klasse, in der alle Sechs- bis Zehnjährigen unterrichtet wurden.
    »Ich war seit meiner Jugend nicht mehr hier, doch nichts hat sich verändert.«
    Und schließlich war es so weit. Langsam fuhren sie an einem verkohlten Gebäude vorbei, das einmal ein Einfamilienhaus gewesen sein mochte. Das schwarze Gerippe des Daches war schon längst eingestürzt. Bloß die Grundfestung und eine Mauer standen noch, die Fenster waren ausgebrannte Löcher, die Ziegel schwarz. Körner ballte die Hand ums Lenkrad. Seine Brandwunde begann zu pochen, als rebelliere sie gegen den Anblick, der sich ihnen bot.
     
    Nachdem sie den Ort zur Hälfte durchquert hatten, gelangten sie zum Hauptplatz. Körner parkte den Wagen an den Randstein und sie stiegen aus. Die örtliche Polizei hatte den Hauptplatz mit einem gelben Plastikband abgeriegelt. Der Wind zerrte an dem Band und ließ es schnalzen. Vor der Absperrung drängten sich einige Männer und Frauen, die sich unter ihren Schirmen dicht aneinander kauerten. Einheimische waren das nicht, dachte Körner, und schon brach das Blitzlichtgewitter los.
    »Kein Kommentar.« Körner wedelte abwehrend mit der Hand. Mehr sagte er nicht. Er hob das Band, und Berger und er schlüpften durch die Absperrung.
    Sie marschierten quer über den Hauptplatz, der leicht bergauf führte. Das Regenwasser schnellte ihnen zwischen den Rillen der Pflastersteine in Rinnsalen entgegen. Körners Magen krampfte sich zusammen. Hier hatte sich nichts verändert. Auf einer Anhöhe über dem Platz thronte die Kirche, ein verwinkeltes Gebäude mit Erkern und einer zugebauten Sakristei auf einem verwucherten Hügel, der von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben war und wohl immer noch einen Garten darstellen sollte. Der Kirchturm war ein gedrungener Klotz aus rohen, unverputzten Ziegeln. In seiner Kindheit war Körner das Gebäude viel größer erschienen, mächtiger und unheimlicher, und der sonntägliche Gang zur Messe war für ihn stets der Ausflug in eine von Weihrauch geschwängerte und von tropfenden Wachskerzen erhellte Dunkelheit gewesen. Doch jetzt hatte die Kirche nichts mehr von dem Flair vergangener Tage, sie war lediglich ein altes, verkommenes Gebäude - weiter nichts. Der Zeiger der Kirchturmuhr sprang mit einem lauten Klack!um: zehn Uhr. Augenblicklich begannen die Kirchenglocken zu läuten.
    Mitten auf dem Dorfplatz stand ein riesiger Springbrunnen, der mit seiner Höhe eher an eine Pestsäule erinnerte. Aus den Gefäßen der Marmorengel sprudelte das Wasser, welches von ovalen Becken aufgefangen wurde. Ein junger Setter mit verfilztem, rotbraunem Fell trottete heran und schnüffelte an der Steinbalustrade. Rechts von der Skulptur lag die Lebensmittelhandlung, ein schmuddeliger Krämerladen, den es schon vor dreißig Jahren gegeben hatte, und zu der ihn seine Mutter dreimal die Woche mit dem Fahrrad geschickt hatte, um einzukaufen. Mit Milch, Obst, Wurst, Käse und einem Laib Brot im Korb war er durch den Ort geradelt, bei strahlendem Sonnenschein und ebenso bei einem Sauwetter wie heute. Er erinnerte sich an die in buntem Papier eingewickelten Schlecker mit dem Brausepulver - und plötzlich spürte er den prickelnden Cola-Geschmack im Mund. Wie hartnäckig Erinnerungen doch waren!
    Linker Hand, gegenüber dem Laden, befand sich der Braune Fünfender, oder auch Kirchenschenke genannt, jenes Gasthaus, in dem sich die Bauern auf einen Schnaps trafen, die Feuerwehrleute ihre Kartenspiele austrugen und die Mitglieder des Kirchenchors nach den Proben ihr Bier tranken. Als Jugendlicher hatte er das Gasthaus so gut wie nie von innen gesehen, denn weder seine Mutter noch sein Vater zählten zu den Stammgästen. Im oberen Stockwerk des Wirtshauses lagen die Fremdenzimmer, welche unter der Bezeichnung Frühstückspension vermietet wurden. Doch schon damals hatten sich nie viele Gäste nach Grein verirrt, und so stand auch

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