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Der Judas-Schrein

Der Judas-Schrein

Titel: Der Judas-Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Haltegriff über der Tür.
    Sein Herz pochte, er nahm den Fuß vom Gaspedal und überholte den Lastwagen, auf den er beinahe aufgefahren war.
    Berger stieß die angehaltene Luft aus. »Das war knapp.«
    Für den Rest der Fahrt schwiegen sie. Die Wischblätter kämpften gegen den zunehmenden Regen an. Im Wagen wurde es frostig, und die Kälte kroch Körner vom Boden herauf in die Hosenbeine. Als er merkte, wie Berger sich die Handflächen rieb, drehte er die Heizung höher. Die Bundesstraße wurde steiler und die Kurven enger. Bald betrug die Sicht nur noch wenige Meter, und bis zum Rosaliengebirge war es noch ein langes Stück.
     
    2. Kapitel
     
    Die Trier war ein schmutzig grauer Fluss, der in dem nach ihr benannten Tal kilometerlang neben der Bundesstraße verlief. Der anhaltende Regen hatte das sonst sieben Meter breite Gewässer zu einem reißenden Strom anschwellen lassen. Die dramatischen Regenfälle waren ungewöhnlich für diese Jahreszeit; übers Wochenende hatte es so viel geregnet, wie sonst in vier Monaten. Seit Freitagabend gingen schwere Gewitter nieder, und sie hörten nicht auf. Lokale Überschwemmungen und Murenabgänge waren die Folge, die Freiwillige Feuerwehr war im Dauereinsatz. Oberhalb des Trieracher Stausees vereinten sich die Wassermassen der Trier und der Göll, sodass die Schleusen für mehrere Stunden geöffnet werden mussten. Das Flussbett wurde ausgeschwemmt, das Geröll talwärts getragen, und der Fluss führte mittlerweile siebenundzwanzigmal so viel Wasser wie an normalen Tagen. Zwischen der Trier und dem Hohen Gschwendt, dem ersten Berg des Rosaliengebirges, lagen die beiden Dörfer Grein am Gebirge und Heidenhof wie in eine Mulde gebettet. Sonst war die Gegend, von einigen Bauernhöfen abgesehen, so gut wie nicht besiedelt.
    Das Schild Grein am Gebirge war im Regen kaum auszumachen. Körner lenkte den Audi von der Bundesstraße und bog auf einen holprigen Forstweg, der nach wenigen Metern an einer Brücke endete. Der Wagen rumpelte über die Bodenschwellen und ratterte über die Holzbalken der Brücke. Bald würden sie den Ort erreicht haben. Augenblicklich versteifte sich Körners Rückgrat, und er atmete so heftig, dass die Seitenscheibe beschlug. Er öffnete das Fenster. Kühle Luft strömte in den Wagen, es roch nach Schnee, die klirrende Kälte biss förmlich in der Nase. Sonja Berger, die bis dahin entspannt im Sitz gelehnt hatte, fuhr erschocken hoch.
    »Wir sind bald da«, beruhigte Körner sie.
    Er blickte aus dem Fenster. Unvorstellbare Wassermassen schossen unter der Brücke hindurch. Aste, Büsche, Plastikfolien, Holzbohlen und mannsdicke Baumstämme trieben in der grauen Flut. Vor dem Brückenpfeiler, der mitten im Fluss stand, bildeten sich Strudel, die das Geröll für einen Moment einfingen und verschwinden ließen. An anderer Stelle tauchte es wieder auf und wurde von der Gewalt der Strömung mitgerissen.
    Auch Berger ließ ihre Seitenscheibe einen Spalt breit herunter. Fasziniert starrte sie den Flusslauf hinauf, der nach einigen Windungen im Nebel verschwand. Am künstlich errichteten Deich standen mehrere Leute in Regenmänteln und Gummistiefeln und starrten auf das trübe Wasser. Sie gestikulierten wild mit den Armen. Körner konnte nicht hören, worüber sie sprachen. Scheinbar machten sie sich Sorgen über den Wasserstand. Als die Männer den Wagen bemerkten, hörten sie auf und beobachteten das Fahrzeug.
    »Hier kommen zwar Traktoren und Mopeds, aber selten Autos vorbei, stimmt’s?«, fragte Berger. ■
    »Zumindest keine mit Wiener Kennzeichen.«
    Sie holperten von der Brücke und fuhren den Forstweg entlang. Nach wenigen Minuten wandelte sich die trostlose, ländliche Gegend in besiedeltes Gebiet. Sie kamen zur Ortstafel, und unmittelbar dahinter stand die gelbe Hütte einer Bushaltestelle am Wegesrand. Gegenüber lag eine winzige Tankstelle mit nur einer Zapfsäule. Wegen Regen geschlossen! stand auf eine Pappschachtel gekritzelt, die unter dem Vordach hing. Der Karton weichte im Regen auf, und die Farbe der Buchstaben begann zu verrinnen.
    Der Forstweg ging in eine asphaltierte Straße über, ein Bürgersteig allerdings fehlte, und am Wegrand steckten Eisenstangen in der Erde, an denen verhungerte Weinreben hingen. Die meisten Häuser gruppierten sich längs der Dorfstraße.
    »Hier ist Ihre Pizzeria.« Berger lächelte, als sie das schiefwinkelige grüne Gebäude mit dem Gastgarten und den wild wuchernden Hecken sah. Scheinbar amüsierte sie die

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