- Der Jünger des Teufels
Hinrichtung durch die Todesspritze an. Heute Abend war Constantine
Gemal an der Reihe.
Die längste Zeit meines Lebens war ich keine Anhängerin der
Todesstrafe gewesen, doch wenn man mehr als zehn Jahre in der
Verbrechensbekämpfung arbeitet, lernt man auf die harte Tour, dass es
bestialische Mörder gibt, die jede Regung in dir sterben lassen. Gemal ist
einer von ihnen. Zweifellos war er der gottloseste, brutalste Killer, dem ich
in meinen zehn Jahren als FBI-Agentin jemals begegnet war.
Er hatte neunundzwanzig Menschen abgeschlachtet, einige noch
halbe Kinder. Keinem Opfer war die geringste Gnade widerfahren. Ihr Mörder
hatte nicht den Hauch von Bedauern gezeigt. Deshalb bereitete der Gedanke an
seine bevorstehende Hinrichtung mir keinen Kummer. Ganz im Gegenteil hoffte
ich, dass er Höllenqualen litt, wenn er starb. Ich hätte niemals geglaubt, dass
ich als Frau einmal so denken würde. Aber ich war ganz sicher, dass alle
Familien seiner Opfer ebenso empfanden: Tötet ihn, damit wir es endlich
hinter uns haben. In der Hölle soll er schmoren!
Kurz nachdem der Gefängniswärter sein Telefonat beendet hatte,
kam am Ende der Eingangshalle ein Mann aus einem Büro zu meiner Linken. Ich
erkannte den Gefängnisdirektor sofort, da ich in den Zeitungen Fotos von ihm
gesehen hatte. Lucius Clay war ein großer, eleganter Mann Ende fünfzig mit wässrig
blauen Augen und der seidigen, blassen Haut eines Abstinenzlers. Doch er sah
aus, als trüge er die Last der ganzen Welt auf den Schultern, wenn auch mit der
Gewissheit, dass Gott ihm moralische Unterstützung bot.
»Miss Moran?« Clay begrüßte mich mit einem laschen
Händedruck, als sähe er mich nur ungern.
»Ist alles vorbereitet, Mr Clay?« Können wir endlich mit
dem Tanz beginnen und diesen Hurensohn zur Hölle schicken?
Plötzlich fiel mir etwas auf. Lucius Clays Gesicht war
leicht gerötet, und er schien sich in meiner Gesellschaft nicht wohl zu fühlen.
»Tut mir leid, Miss Moran, aber es gibt da ein kleines Problem …«
Mein Puls ging schneller. Ich wollte unbedingt erleben, wie
Gemal starb. Jetzt sofort. Die Hinrichtung sollte sich auf keinen Fall
verzögern, aus welchem Grund auch immer. »Was für ein Problem?«
»Möglicherweise muss ich beim Gouverneur um einen
kurzfristigen Aufschub der Hinrichtung nachsuchen.«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Warum?«
Lucius Clay seufzte. »Ich betone, dass die Möglichkeit besteht,
Miss Moran. Gemal behauptet, im Besitz neuer, Aufsehen erregender Informationen
zu sein.«
»Was für Informationen?«
»Vor fünfzehn Minuten hat Gemal dem Dienst habenden Schichtleiter
des Todestrakts mitgeteilt, dass er zwei weitere Morde gestehen will.«
Diese Nachricht traf mich wie ein Schlag, obwohl
Geständnisse kurz vor einer Hinrichtung nicht ungewöhnlich waren. Und da ich
Gemal ein wenig kannte, überraschte es mich nicht, dass er andere Opfer getötet
haben sollte. Doch ich hatte nicht mit einem Geständnis in letzter Minute
gerechnet, und plötzlich wurde ich misstrauisch. »Glauben Sie, er sagt die
Wahrheit?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, Miss Moran.«
»Dieser Aufschub der Hinrichtung beunruhigt mich. Hat Gemal
darum gebeten?«
Gemal saß seit fast acht Monaten im Todestrakt und hatte keine
Berufung eingelegt. Von Rechts wegen waren weitere Aussagen zu diesem Zeitpunkt
nicht mehr möglich, denn seine Hinrichtung war für heute Abend angesetzt. Seine
einzige Überlebenschance waren entweder eine Begnadigung durch den Gouverneur –
und die war so unwahrscheinlich wie ein Schneesturm im Juli – oder ein Aufschub
der Hinrichtung bis zu dreißig Ta gen, den entweder die Gerichte oder der Gouverneur verfügen
konnten.
»Es ist seltsam«, gab Clay zu. »Gemal hat keinen Aufschub verlangt.
Er sagte, er wolle für Klarheit sorgen, dann könne die Hinrichtung wie geplant
stattfinden. Nicht Gemal hält einen Aufschub für angebracht, bis wir neue
Beweise gesammelt haben, sondern ich.«
»Was soll das heißen, Gemal will ›für Klarheit sorgen‹?«
»Das weiß ich nicht. Er will es nicht näher erläutern. Aber
genau das waren seine Worte.«
»Warum habe ich das Gefühl, dass mehr dahinter steckt?«
Clay seufzte. »Gemal sagt, er wolle nur mit Ihnen sprechen,
mit niemandem sonst. Nur Sie beide, unter vier Augen. Das ist seine Bedingung,
wenn wir wissen wollen, wo er die Opfer vergraben hat.«
»Soll das ein Witz sein? Ich allein mit Gemal?« Ich
war noch nie einem Killer begegnet, der so gerissen und
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