0332 - Die Pest aus den Slums
Aus der Randall Street kam eine Horde Halbstarker. Es waren Jungen in schwarzen und grellroten Lederjacken, in Nietenhosen und Stiefeln. Sie grölten, sie stießen sich gegenseitig an, sie lachten rauh, aber sie verstummten, als sie ihn sahen.
Er verzögerte seinen Schritt. Er lebte jetzt lange genug im Viertel, um die Bedeutung der Abzeichen auf den Jacken zu kennen. Es waren grinsende Totenköpfe, gekreuzte Messerklingen, Fäuste, die Revolver hielten.
Er fürchtete die Burschen nicht, trotz der Totschläger und Klappmesser in ihren Taschen. Er war ihnen oft begegnet, ohne daß sie sich um ihn gekümmert hatten.
Er wandte den Kopf und sah, daß eine zweite Gruppe aus der Oak-Point-Street kam und ihm den Rückweg abschnitt. Nun wußte der Mann, daß sie es auf ihn abgesehen hatten.
Er setzte seinen Weg fort. Eine Frau beugte sich aus einem Fenster und schrie kreischend:
»Komm ’rein, Jimmy! Komm sofort ’rein!«
Als das nichts nützte, stürzte die Frau aus dem Haus, eilte über die Straße, hob das Kind, das aufplärrte, vom Boden auf und .hastete mit ihm zum Haus zurück.
Er hörte den harten Schlag der ins Schloß fallenden Tür, aber er wandte nicht den Kopf. Er registrierte, daß die Straße plötzlich wie leergefegt war. Die Männer, die auf den Treppenstufen gesessen hatten, waren aufgestanden und in die Häuser gegangen. Die Frauen, die schwatzend an den Ecken gestanden hatten, waren verschwunden. Ein italienischer Obstverkäufer schob im Trab seine Gemüsekarre die Fahrbahn hinunter und verschwand dann in einer Toreinfahrt.
Langsam ging er auf die Mauer aus lederbejackten Gestalten zu.
Ihn erfüllte nicht Furcht, sondern Bestürzung.
Wie haben sie es herausgefunden, fragte er sich. Die Arbeit von sechs Monaten ist umsonst, wenn sie im letzten Augenblick dahintergekommen sind. Aber sind sie dahintergekommen? Kann ich sie noch bluffen?
Die Halbstarken sperrten den Bürgersteig in der ganzen Breite. Er mußte stehenbleiben.
»Macht Platz, Jungs!« befahl er ruhig.
Sie rührten sich nicht.
Der Bursche, der unmittelbar vor ihm stand, ein breitschultriger Zwanzigjähriger mit einem fahlen, pickligen Gesicht, versenkte die Faust in die Tasche der Lederjacke. Das Stahlband an seinem Handgelenk klirrte. Der Junge zog die Hand heraus, die Messerklinge fuhr klickend aus dem Heft und der Bursche schob die Faust mit der Waffe langsam nach vorn.
Sie können es nicht so weit treiben und die Boys zu Mördern machen, dachte er. Ich werde es nicht zulassen.
Er spürte den Druck der Pistole in seiner Achselhöhle. Er kannte die Mentalität der Halbstarkenbanden, und er wußte, daß sie beim Anblick einer Kanone verschwinden würden, aber er wußte auch, daß er sich endgültig verriet, wenn er die Waffe zog.
Der Bursche mit dem Messer bewegte sich auf ihn zu. Er schob die Füße über das Pflaster, ohne sie vom Boden zu heben.
»Weg mit dem Messer!« sagte der Mann.
»Angst, Bulle?« zischte der Halbstarke.
Das Schimpfwort verriet dem Bedrohten, daß seine Rolle ausgespielt war. Seine Hand tauchte in den Jackenausschnitt. Er riß die Pistole aus der Halfter.
»Verschwinde, Kleiner!« sagte er.
Der Halbstarke kam weiter auf ihn zu, und nun setzten sich auch die anderen in Bewegung, ebenso langsam wie ihr Kumpan.
Er registrierte mit Erstaunen, daß der Anblick der Pistole seine Wirkung verfehlte.
Im nächsten Augenblick fiel eine Seilschlinge über sein Handgelenk. Das Seil war aus einer dunklen, nahen Toreinfahrt geflogen. Ehe er eine Abwehrbewegung machen konnte, zog sich die Schlinge zusammen und sein Arm wurde zur Seite gezerrt.
Lasso, zuckte es durch sein Gehirn.
Er handelte blitzschnell. Er schleuderte die Pistole aus den Fingern in die Luft und bemühte sich, sie mit der linken Hand aufzufangen. Vielleicht wäre es ihm gelungen, wenn sich nicht in der gleichen Sekunde eine weitere Schlinge um seinen Hals gelegt hätte.
Die Pistole klirrte auf das Pflaster. Er hob die freie Hand hoch, um die Schlinge aufzureißen. Die Bewegung kam zu spät. Ein harter Ruck riß seinen Kopf in den Nacken. Er griff nach dem Seil, aber ein neuer Ruck ließ ihn zu Boden stürzen.
Grölendes Lachen schlug an seine Ohren, in denen schon das Blut sauste.
Verzweifelt kämpfte er gegen den Zug der Schlinge an, gegen die Atemnot, die aufsteigende Ohnmacht, die mit schwarzen Wolken seinen Blick verdunkelte.
Plötzlich ließ der Druck nach. Er bekam die Hand hoch, faßte das Seil, das seinen Hals einschnürte, zerrte
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