Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Richtung Ku’damm.
»Nicht nach Rom. Heb dir das für ein andermal auf. Da warst du doch schon, oder?«
»Nur zweimal, als Kind.«
»Flieg erst einmal nach Hause, bring alles in Ordnung, auch mit Teresa. Nach Rom kannst du diesen Sommer immer noch. Heute ist erst der sechsundzwanzigste August.«
Rund eine halbe Stunde später entspannte sich Tom auf dem Zimmer mit der Morgenpost und dem Abend, als Frank aus seinem Zimmer anrief.
»Ich habe für Montag einen Flug nach New York gebucht«, sagte er. »Abflug 11:45 mit Air France, ab Düsseldorf weiter mit Lufthansa.«
»Sehr gut, Ben.« Tom war erleichtert.
»Vielleicht könnten Sie mir ein bißchen Geld leihen. Für das Flugticket reicht’s noch, doch danach bin ich wohl ziemlich blank.«
»Kein Problem«, sagte Tom geduldig. Fünftausend Franc waren mehr als tausend Dollar – wenn der Junge sofort nach Hause wollte, warum sollte er mehr brauchen? War er derart daran gewöhnt, große Summen bei sich zu haben, daß er sich ohne viel Geld nicht wohl fühlte? Oder war es so, daß für Frank Geld, das von Tom kam, für Liebe stand?
An diesem Abend gingen sie ins Kino, verließen die Vorstellung aber vor Ende des Films, weil es schon nach elf war und sie noch nicht gegessen hatten. Tom nahm ihn mit in die Rheinischen Winzerstuben, nur ein paar Meter weiter. Halbvolle Biergläser, mehr als ein halbes Dutzend, standen aufgereiht unter den Zapfhähnen, auf Kundschaft wartend. Die Deutschen brauchten mehrere Minuten, um ein Bier ordentlich zu zapfen. Tom mochte das. Sie wählten ihre Speisen selbst an einem Tresen mit hausgemachten Suppen, Braten, Roastbeef, Lamm, Kohl, gebratenen oder gekochten Kartoffeln und einem halben Dutzend Brotsorten aus.
»Was Sie über Teresa sagten, das stimmt«, begann Frank, als sie einen freien Tisch gefunden hatten. »Ich sollte die Sache mit ihr klären.« Er schluckte, dabei hatte er sein Essen noch nicht angerührt. »Vielleicht mag sie mich, vielleicht auch nicht. Und ich merke, ich bin einfach noch nicht alt genug. College, das hieße noch fünf Jahre Lernen. Mein Gott!«
Mit einem Mal wurde er wütend, scheinbar auf das Universitätssystem, doch Tom wußte weswegen: Der Junge war verunsichert, wegen des Mädchens.
»Sie ist anders als andere Mädchen«, fuhr er fort. »Ich kann das nicht in Worte fassen. Sie ist nicht albern, ist sich ihrer sehr sicher – das macht mir manchmal angst, weil ich mich nicht so selbstbewußt fühle wie sie. Womöglich bin ich’s auch nicht. – Vielleicht lernen Sie Teresa eines Tages kennen. Hoffentlich.«
»Das hoffe ich auch. Iß, sonst wird dein Essen kalt.« Tom spürte, daß er Teresa niemals kennenlernen würde. Aber Wunschvorstellungen, eine Hoffnung wie jene, an die sich der Junge gerade klammerte – was sonst ließ die Menschen durchhalten? Ichstärke, Standhaftigkeit, Tatkraft und was man so vage »die Zukunft« nannte: Brauchten die meisten nicht dafür einen anderen Menschen? So wenige nur schafften es allein. Und er? Tom versuchte für einen Augenblick, sich Belle Ombre ohne Héloïse vorzustellen: Niemand im Haus, mit dem er sprechen konnte, nur Madame Annette; niemand, der eine Platte auflegte und das Haus auf einmal mit Rockmusik füllte oder zuweilen mit Ralph Kirkpatricks Cembalo-Interpretationen. Obwohl er Héloïse von so viel in seinem Leben ausschloß, von seinen illegalen und potentiell gefährlichen Aktivitäten, deren Aufdeckung das Ende von Belle Ombre bedeuten würde, war sie ein Teil seines Lebens geworden, ja fast seines Fleisches, wie es im Ehegelöbnis hieß. Sie schliefen nicht oft miteinander, nicht einmal immer, wenn Tom ihr Bett teilte, was kaum jeden zweiten Tag vorkam, doch wenn sie es taten, war Héloïse zärtlich und leidenschaftlich. Daß sie sich so selten liebten, schien ihr überhaupt nichts auszumachen. Seltsam, weil sie erst siebenundzwanzig war – oder achtundzwanzig? Aber auch Tom kam das gelegen. Er könnte eine Frau nicht ertragen, die mehrmals pro Woche Ansprüche an ihn stellte. Das hätte ihm jede Lust verdorben, womöglich ein für allemal.
Tom nahm seinen Mut zusammen und sagte leichthin und höflich zugleich: »Darf ich fragen, ob du mit Teresa im Bett warst?«
Frank sah von seinem Teller auf, lächelte hastig und fahrig: »Einmal. Ich – na ja, war natürlich wunderschön. Vielleicht zu schön.«
Tom wartete.
»Sie sind der einzige Mensch, dem ich das erzählen kann«, fuhr der Junge leiser fort. »Ich war nicht so gut. Zu
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