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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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gefragt. Nicht schlecht, was?«
    Kurz vor zwölf standen sie an einem Snackwagen in Kreuzberg, einem Schnellimbiß. Beide tranken Bier aus Dosen, Frank aß eine Bulette, einen Hamburger ohne Brötchen, kalt, aber vorgebraten. Man hielt sie zwischen den Fingern und tunkte sie in Senf. Neben ihnen ein Türke mit Bier und Frankfurter; er trug den letzten Schrei in puncto sommerliche Freizeitmode – oben gar nichts, so daß sich sein haariger Bauch über kurzen grünen Shorts wölbte, die nicht nur zerschlissen, sondern beinah zerfetzt waren, möglicherweise von einem Hund. Sandalen an dreckigen Füßen. Der Junge musterte den Mann ungerührt von oben bis unten und sagte: »Ich finde Berlin ganz schön groß, gar nicht beengt.«
    Das brachte Tom auf eine Idee für den Nachmittag: Grunewald, der große Wald im Südwesten. Doch zuerst vielleicht zur Glienicker Brücke.
    »Diesen Tag werde ich nie vergessen. Mein letzter mit Ihnen«, fuhr Frank fort. »Und ich weiß nicht, wann ich Sie wiedersehe.«
    Die Worte eines Verliebten, dachte Tom. Ob Franks Familie, vor allem seine Mutter, besonders glücklich wäre, sollte er den Jungen im Oktober auf seiner Amerikareise besuchen? Wohl kaum. Wußte seine Mutter etwas über den Verdacht, die Derwatts würden gefälscht? Höchstwahrscheinlich, da Franks Vater davon gesprochen hatte, beim Essen womöglich. Würde sein Name der Mutter unangenehm aufstoßen? Tom fragte lieber nicht.
    Ein spätes Mittagessen im Freien, an einem Tisch auf einer Anhöhe über dem Wannsee mit Blick auf die Pfaueninsel, unter ihnen das blaue Wasser. Blätter spendeten Schatten, Kies und nackte Erde unter den Füßen, ein beleibter und freundlicher Kellner. Sauerbraten mit Kartoffelklößen und Rotkohl, dazu Bier. Sie waren im Südwesten der Stadt.
    »Herrje, ist doch toll, Deutschland, nicht?«
    »Wirklich? Schöner als Frankreich?«
    »Ich finde die Leute hier freundlicher.«
    Tom dachte ebenso über Deutschland, doch das hier in Berlin zu sagen, fand er seltsam. Am Vormittag waren sie an einem langen Abschnitt der Mauer entlanggefahren, der unbewacht schien (Soldaten waren nicht zu sehen), aber genauso hoch war wie in der Friedrichstraße, drei Meter, und die scharfen Hunde an den Laufleinen hinter der Mauer hatten angeschlagen, sobald sie nur das Taxi hörten. Dem Fahrer machte die Tour Spaß, er redete wie ein Wasserfall. Jenseits der Mauer, noch hinter den Hunden, vom Westen nicht zu sehen, lag ein Minenfeld – »fünfzig Meter breit!« hatte ihr Fahrer auf deutsch verkündet – und noch weiter dahinter ein Streifen feingeharkter Erde, der jeden Fußabdruck festhielt. »Was für ein Aufwand!« sagte der Junge und beflügelte Tom zu den Worten: »Sie nennen sich revolutionär, aber zur Zeit ist niemand so rückständig wie sie. Sie sagen, jedes Land braucht eine Revolution, aber warum einige dieser Gruppen immer noch ausgerechnet mit Moskau paktieren…« Er hatte sein Deutsch am Fahrer ausprobiert, und der hatte geantwortet: »Ach, Moskau hat jetzt einfach die militärische Macht, hier und da Stärke zu zeigen. Aber Ideen, nein, keine.« Resignation hatte in seinen Worten mitgeschwungen. An der Glienicker Brücke hatte Tom für den Jungen die deutsche Inschrift auf einem großen Schild übersetzt:
Die dieser Brücke den Namen »Brücke der Einheit« gaben, haben auch die Mauer gebaut, Stacheldraht gezogen und den Todesstreifen angelegt – und verhindern so die Einheit.
    So klang das in Toms Übersetzung, doch Frank wollte den deutschen Text, also schrieb er ihn für den Jungen ab. Hermann, der Fahrer, war so freundlich gewesen, daß Tom ihn zum Mittagessen einlud – danach könne er sie noch woandershin fahren. Hermann nahm die Einladung an, bemerkte jedoch höflich, er werde allein an einem anderen Tisch essen.
    »Grunewald«, sagte Tom zu ihm, als er gezahlt hatte. »Geht das? Dort können Sie uns absetzen und wegfahren, wir wollen ein bißchen herumlaufen.«
    »Klar, okay, kein Problem!« Hermann hievte sich aus dem Stuhl, als habe er beim Essen ein paar Kilo zugelegt. Es war warm, er trug ein weißes, kurzärmeliges Hemd.
    Sie hatten jetzt eine Fahrt von fast sieben Kilometern in nördlicher Richtung vor sich. Tom hatte seinen Berliner Stadtplan auf dem Schoß ausgefaltet, damit er Frank zeigen konnte, wo sie waren. Sie fuhren über die Wannsee-Brücke nach Norden, durch viele Waldgebiete, durchsetzt mit Siedlungen aus kleinen Häusern, und kamen schließlich zum Grunewald. Tom hatte Frank

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