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Der junge Gelehrte

Der junge Gelehrte

Titel: Der junge Gelehrte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Rechtsgelehrte bei einer unseligen Geschicklichkeit, unbrauchbare Gesetze abgestorbner Staaten, zum Nachteile der Billigkeit und Vernunft, zu verdrehen und die fuerchterlichsten Urtel in einer noch fuerchterlichern Sprache vorzutragen. Der Arzt endlich glaubt sich wirklich deiner bemaechtiget zu haben, wann er durch eine Legion barbarischer Woerter die Gesunden krank und die Kranken noch kraenker machen kann. Aber, o betrogene Toren! die Wahrheit laesst euch nicht lange in diesem sie schimpfenden Irrtume. Es kommen Gelegenheiten, wo ihr selbst erkennet, wie mangelhaft euer Wissen sei; voll tollen Hochmuts beurteilet ihr alsdann alle menschliche Erkenntnis nach der eurigen und ruft wohl gar in einem Tone, welcher alle Sterbliche zu bejammern scheinet, aus: Unser Wissen ist Stueckwerk! Nein, glaube mir, mein lieber Anton: der Mensch ist allerdings einer allgemeinen Erkenntnis faehig. Es leugnen, heisst ein Bekenntnis seiner Faulheit oder seines maessigen Genies ablegen. Wenn ich erwaege, wieviel ich schon nach meinen wenigen Jahren verstehe, so werde ich von dieser Wahrheit noch mehr ueberzeugt. Lateinisch, Griechisch, Hebraeisch, Franzoesisch, Englisch, Italienisch—das sind sechs Sprachen, die ich alle vollkommen besitze: und bin erst zwanzig Jahr alt!
    Anton . Sachte! Sie haben eine vergessen; die deutsche—
    Damis . Es ist wahr, mein lieber Anton; das sind also sieben Sprachen; und ich bin erst zwanzig Jahr alt!
    Anton . Pfui doch, Herr! Sie haben mich oder sich selbst zum besten. Sie werden doch das, dass Sie Deutsch koennen, nicht zu Ihrer Gelehrsamkeit rechnen? Es war ja mein Ernst nicht.—
    Damis . Und also denkst du wohl selber Deutsch zu koennen?
    Anton . Ich? ich? nicht Deutsch! Es waere ein verdammter Streich, wenn ich Kalmuckisch redete und wuesste es nicht.
    Damis . Unter koennen und koennen ist ein Unterschied. Du kannst Deutsch, das ist: du kannst deine Gedanken mit Toenen ausdruecken, die einem Deutschen verstaendlich sind; das ist, die ebendie Gedanken in ihm erwecken, die du bei dir hast. Du kannst aber nicht Deutsch, das ist: du weisst nicht, was in dieser Sprache gemein oder niedrig, rauh oder annehmlich, undeutlich oder verstaendlich, alt oder gebraeuchlich ist; du weisst ihre Regeln nicht; du hast keine gelehrte Kenntnis von ihr.
    Anton . Was einem die Gelehrten nicht weismachen wollen! Wenn es nur auf Ihr “das ist” ankaeme, ich glaube, Sie stritten mir wohl gar noch ab, dass ich essen koennte.
    Damis . Essen? Je nun wahrhaftig, wenn ich es genau nehmen will, so kannst du es auch nicht.
    Anton . Ich? ich nicht essen? Und trinken wohl auch nicht?
    Damis . Du kannst essen, das ist: du kannst die Speisen zerschneiden, in Mund stecken, kauen, herunterschlucken und so weiter. Du kannst nicht essen, das ist: du weisst die mechanischen Gesetze nicht, nach welchen es geschiehet; du weisst nicht, welches das Amt einer jeden dabei taetigen Muskel ist; ob der Digastrikus oder der Masseter, ob der Pterygoideus internus oder externus, ob der Zygomatikus oder der Platysmamyodes, ob—
    Anton . Ach ob, ob! Das einzige Ob, worauf ich sehe, ist das, ob mein Magen etwas davon erhaelt und ob mir's bekoemmt.—Aber wieder auf die Sprache zu kommen. Glauben Sie wohl, dass ich eine verstehe, die Sie nicht verstehen?
    Erster Aufzug
    4
    Der junge Gelehrte
    Damis . Du, eine Sprache, die ich nicht verstuende?
    Anton . Ja; raten Sie einmal.
    Damis . Kannst du etwa Koptisch?
    Anton . Foptisch? Nein, das kann ich nicht.
    Damis . Chinesisch? Malabarisch? Ich wuesste nicht woher.
    Anton . Wie Sie herumraten. Haben Sie meinen Vetter nicht gesehn? Er besuchte mich vor vierzehn Tagen.
    Der redete nichts als diese Sprache.
    Damis . Der Rabbi, der vor kurzen zu mir kam, war doch wohl nicht dein Vetter?
    Anton . Dass ich nicht gar ein Jude waere! Mein Vetter war ein Wende; ich kann Wendisch; und das koennen Sie nicht.
    Damis (nachsinnend) . Er hat recht.—Mein Bedienter soll eine Sprache verstehen, die ich nicht verstehe?
    Und noch dazu eine Hauptsprache? Ich erinnere mich, dass ihre Verwandtschaft mit der hebraeischen sehr gross sein soll. Wer weiss, wieviel Stammwoerter, die in dieser verloren sind, ich in jener entdecken koennte!—Das Ding faengt mir an, im Kopfe herumzugehen!
    Anton . Sehen Sie!—Doch wissen Sie was? Wenn Sie mir meinen Lohn verdoppeln, so sollen Sie bald so viel davon verstehen als ich selbst. Wir wollen fleissig miteinander wendisch parlieren, und—Kurz, ueberlegen Sie es. Ich vergesse ueber dem

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