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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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stand sie auf, holte vier Konservendosen hervor und drückte sie dem Jungen in die Hände.
    »Da! Nimm das mit. Ich frage dich nicht, wem du das gibst.« Sie setzte sich wieder an das Feuer, um weiterzusticken.
    Tschaske verlor kein Wort mehr. Flink wie ein Wiesel schlüpfte er mit seiner Beute hinaus.
    Hyazinthe blieb am Feuer zurück. Sie arbeitete nicht weiter. Der zur Hälfte gestickte Gürtel entfiel ihr; ihre Hände legten sich untätig, halb geöffnet in den Schoß. Wohin sie schaute, wußte sie selbst nicht. Sie sah das Feuer nicht, sie sah nicht die Zeltwand, nicht Decken, Schlafgestelle und Schüsseln. Ihr Blick und ihre Gedanken gingen zurück in die Vergangenheit, als sie ein junges Mädchen und die Gespielin Uinonahs gewesen war. Damals war sie froh gewesen, heiter und glücklich. Als Schonka sie in sein Zelt nahm, begann ihre Leidenszeit. Er war bei den Kriegern des Dorfes nicht wohl angesehen; seiner Frau begegnete er barsch und herrisch. Uinonah, die Schwester Tokei-ihtos, hatte sich von Hyazinthe zurückgezogen, sobald Hyazinthe Schonkas Frau geworden war. Jetzt war Hyazinthe ganz vereinsamt. Alle verachteten Schonka. Niemand sprach mit seiner Frau. Es war, als ob zwischen ihr und allen anderen ein leerer Raum liege, den kein Wort, kein Lächeln, keine Geste, kein Blick durchdrang. Hyazinthe war mitten im Zeltdorf völlig allein.
    Auch Tschaske, der eine Waise war und zu Schonkas Zelt gehörte, ließ sich kaum noch darin sehen, und seit Schonka in den Dienst der weißen Männer gegangen war, hatte auch Tschaske nicht mehr mit Hyazinthe gesprochen. Eben jetzt, mit der Bitte um Fleisch, hatte der Junge zum erstenmal wieder ein Wort zu seiner Pflegemutter gesagt.
    Hyazinthe hatte ihren Mann noch nie etwas von ihrem freudlosen Dasein wissen lassen. Sie aß wenig, sie schlief wenig, sie arbeitete nur hin und wieder. Ihr war, als ob sie schon eine Tote sei und die Männer und Frauen der Bärenbande hätten nur vergessen, sie zu bestatten. Als Tschaske sie angesprochen hatte, war sie erschrocken. Als er wieder gegangen war, versank sie von neuem in ihren Trübsinn, aus dem sie keinen Ausweg wußte.
    Der Junge war zu Blitzwolke geeilt, um ihr eine Büchse Fleisch zu geben. Die aufblitzenden Augen des Mädchens dankten ihm. Zwei Büchsen brachte Tschaske seinem Freunde Hapedah. Heimlich, außerhalb des Zeltdorfes, in einem Felsenversteck der beiden Jungen, übergab er sie ihm. Die letzte Büchse erhielt die Mutter Hapedahs, Mongschongschah, und der Junge wußte, daß Mongschongschah mit Uinonah und Untschida teilen würde.
    Ein unklares Gefühl dafür, daß Hyazinthe, Schonkas Frau, doch etwas Gutes getan habe, veranlaßte Tschaske, nach langer Zeit wieder einmal in diesem Zelt schlafen zu gehen. Seine Schlafstatt fand er gerichtet. Es wurde still im Dorf. Unter dem Sternenhimmel, inmitten des dürren, wüsten Landes, ruhten die Menschen. Sie schliefen so, wie Gefangene schlafen, hungrig, müde, von Zweifel und Verzweiflung verfolgt, unruhig gemacht von Hoffnungen und Träumen, an die sie nicht zu glauben wagten und von denen sie doch nicht lassen konnten.
    Auch Hapedah war endlich in das Tipi geschlüpft und hatte sich auf seine Schlafstatt gelegt. Er schlief lange nicht. Immerzu dachte er an den besiegten großen Häuptling Tashunka-witko, der nun gleich Hapedah unter dem Befehl der weißen Männer leben sollte, und an den Vater, der als Ausgestoßener und Verfolgter mit eiternden Wunden im Ödland zugrunde ging. Hapedah hatte seinem Vater beide Fleischbüchsen geben wollen, aber Tschetansapa hatte nur eine davon genommen. Noch immer sah Hapedah das eingefallene Gesicht und die flackernden Augen des Vaters vor sich. In dieser Nacht träumte nicht nur Uinonah, es träumte auch der Knabe Hapedah, daß Tokei-ihto noch lebe und heimkehren werde, um den Seinen zu helfen. Der heiße Wunsch bestimmte Hapedahs Gedanken bis in das Traumgesicht. Auch fernab von den »Bad Lands«, dem »schlechten Land« über den Ufern des Missouri, war es dunkel, und die Sterne blinkten. Als die Nachtstunden wiederum dahingegangen waren und der Tag heraufzog, blieb das Licht matt und milchig. Nach Mittag schien die Sonne ihre Strahlen ganz zu verlieren. Sie hing wie eine rotglühende Scheibe hinter Nebel und Dunst. Das Schlammwasser des Missouri rauschte breit und ruhig dahin und verbarg seine Tücken. Die Herbstregen waren längst hinuntergeflossen. Der Grasboden war im Nachtfrost gefroren.
    Auf dem großen Sicherungsfort Randall

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