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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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verzehrt war, da wurde den Jungen und Mädchen zumute, als ob sie nicht voll atmen und sich nur noch schwer bewegen konnten. Der Tümpel versickerte ganz. Meilenweit liefen die Frauen, um Trinkwasser zu holen. Die Menschen konnten sich nicht mehr waschen. Täglich empfanden sie den Schmutz auf der Haut, der sie herabwürdigte. Hoffnungslosigkeit lahmte die Gefangenen der Reservation.
    Für Hapedah, für seinen Freund Tschaske und für das Mädchen Blitzwolke gab es jetzt nur noch eine Stunde am Tag, die für sie wirklich Leben hieß und die ihnen über die Müdigkeit und die Verzweiflung der übrigen Stunden des Tages hinweghalf. Das war die Abendstunde, in der sie im Zelt Tschetansapas bei Uinonah sitzen durften. Auch Untschida, die jetzt im Zauberzelt wohnte, pflegte in dieser Stunde zu Uinonah herüberzukommen.
    Uinonah schien abends aus ihrer Trauer zu erwachen. Sie nähte im Dämmerlicht an einem Pelzrock und an Pelzmokassins. Sie arbeitete nicht schnell. Jeden Abend tat sie nur wenige Stiche.
    »Für wen nähst du?« fragte Blitzwolke, auf deren Schulter das treue Eichhörnchen saß. Es war düster im Zelt, da das Holz gespart werden mußte. Nur Funken glimmten.
    »Für einen Traum arbeite ich«, antwortete Uinonah.
    »Was hast du geträumt?« forschte Tschaske. Er hielt sich nur heimlich im Zelt des entflohenen Tschetansapa auf. Seine Pflegemutter Hyazinthe und Schonka durften davon nichts ahnen.
    »Der Traum war stark und gut«, gab Uinonah dem Knaben Auskunft. Die Indianer, die die Natur des Träumens nicht kannten, gaben viel auf die Bedeutung von Traumerscheinungen.
    »Von was für einem Mann hast du geträumt?« fragte Hapedah und befühlte die Teile des Pelzrocks, der für einen großen schlanken Krieger bestimmt sein mußte.
    »Von meinem Bruder«, gestand Uinonah.
    »Er ist tot«, sagte Hapedah.
    »Ich habe seinen Leichnam nicht gesehen.«
    Blitzwolke hob den Kopf, sie war erschrocken. Sie fürchtete sich davor, etwas zu hoffen, was doch nicht mehr Wirklichkeit werden konnte. In ihrem jungen Leben hatte sie schon eine zu harte Enttäuschung erlebt.
    »Er ist tot«, wiederholte Hapedah aus der gleichen Furcht heraus wie Blitzwolke.
    »Aber sein Geist ist nicht versöhnt«, erwiderte Uinonah herb. »Er war bei mir im Traum. Er wird wiederkommen.«
    Tage, Wochen und Monate vergingen. Wieder einmal saßen die Knaben und Mädchen abends bei der Schwester Tokei-ihtos. Uinonah arbeitete nur noch selten. An diesem Abend hatte sie die Hände in den Schoß gelegt. Die Kinder sprachen nicht miteinander, weil es nur wenig zu besprechen gab, aber sie suchten aneinander Halt. Das war es, was die vier immer wieder zusammenführte: Tschaske und Hapedah, Blitzwolke und Eidechse.
    Es war schon düster, als sich draußen Galopp hören ließ, der Galopp kräftiger, frischer Pferde. Das mußten fremde Reiter sein. Die Knaben und Mädchen lauschten. Die Reiter galoppierten bis zum Dorfplatz, dort riß der Galopp ab. Sechs Reiter konnten es sein, die gekommen waren; so meinte Tschaske. Die Kinder vernahmen, wie die Reiter absprangen und wie sie auf das Zelt Tschetansapas zukamen. Die Mädchen und die Jungen blieben bei Uinonah sitzen. Mongschongschah hockte im Hintergrund allein, über die leere Kindertrage gebeugt. Das Zelt wurde aufgerissen, Schonka schlüpfte herein, hinter ihm drängten sich Tatokano, drei fremde Krieger und ein weißer Mann in das Tipi. Dieser weiße Mann war in Zivil. Tatokano hatte sich mit einer ganz merkwürdigen Uniform herausgeputzt.
    »Das Feuer anfachen!« befahl der Weiße, der ein Angestellter der Agentur sein mußte. Er hatte eine schwache Stimme, die durch Kreischen überanstrengt war.
    Der Befehl wurde von Tatokano übersetzt. Blitzwolke führte ihn aus. Sie wollte Uinonah ersparen, daß sie einem solchen kläffenden Kojoten gehorchen mußte. Flammen schlugen lebhaft in die Höhe und beleuchteten alle, die im Zelt anwesend waren.
    »Hinaus mit euch Ferkeln!« zischte der Mann die Kinder an. Die Jungen und Mädchen erhoben sich so ruhig, daß diese Ruhe stolz wirkte. Langsam gingen sie zum Zeltausgang, den ihnen die eingedrungenen Männer erst freigeben mußten.
    Schonka warf einen drohenden Blick auf seinen Pflegesohn Tschaske und griff dann nach Hapedah. »Du bleibst hier.«
    Der Junge blieb sofort stehen, steifte aber den Nacken. Blitzwolke, Eidechse und Tschaske schlüpften hinaus. Sie hielten sich draußen in der Nähe des Zeltes auf, denn sie wollten wenigstens hören, was drinnen

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