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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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den Tee zu betrachten, der goldbraun in der Tasse stand. Kusine Betty fühlte sich verpflichtet, das ihr peinliche Schweigen zu verscheuchen.
    »Haben Sie gehört – die Aktien steigen endlich wieder! Unsere Siege über die rothäutigen Banditen und die Erschließung der Black Hills und ihrer Bodenschätze wirken sich bereits auf den Geschäftsgang aus. Welche enormen Aufgaben liegen noch vor unserer siegreichen republikanischen Partei!«
    Herr Jones pflichtete bei, erleichtert, daß die Stille überwunden war. »So ist es! An großen Aufgaben aber sind schon immer unsere großen Menschen gewachsen, und wie ausgeprägt sind sie alle, jeder ein Typ für sich: Westmänner, Soldaten, Offiziere, Ingenieure, Unternehmer, selbst Künstler … Was für interessante Häuptlingsporträts haben Sie unter Lebensgefahr gemalt, Herr Morris – und von Ihren tollen Pionierabenteuern beim Bau der Union Pacific, Herr Brown, spricht noch das ganze Land!«
    »Wenn ich nur erfahren könnte, was aus Henry geworden ist«, bemerkte Brown und durchbrach damit das Geschwätz. Alle Blicke wandten sich dem Chefingenieur der großen Eisenbahnbau-Unternehmungen zu. »Tatsächlich, Sie suchen Ihren vermißten Sohn?« fragte Herr Jones.
    »Ihren Neffen?« verbesserte Frau Jones.
    »Ihren Enkel?« meinte Kusine Betty mit gedämpfter Stimme.
    »Besitze ich alles irgendwo, vermisse ich aber durchaus nicht.« Die Falten um die Mundwinkel zogen sich tief herab.
    »Meinen jüngeren Freund Henry suche ich. Seine letzte auffindbare Spur endet hier bei Fort Randall!« Der Cheyenne Langspeer saß am Tisch wie eine schöne Bronzestatue. Die Züge seines braunhäutigen Gesichts waren glatt und blieben unbeweglich, seine schwarzen Augen schauten jetzt durch das Fenster nach Hügeln und Himmel. Auch bei den Worten des Ingenieurs veränderte sich sein Ausdruck nicht. Dem Maler Morris aber stieg die Röte in die Schläfen.
    »Henry ritt im Vorfrühling des vergangenen Jahres mit Kurierpost und als Presseberichterstatter westwärts in die Prärien zum Niobrara«, gab er dem Ingenieur Auskunft. »Ich sprach den jungen Mann noch am Tag vorher, aber er schlug alle meine dringenden Warnungen in den Wind und ritt los, von zwei Scouts begleitet.«
    »Das hat mir der Kommandant gestern auch schon gesagt, nur daß er von Warnungen oder möglichen Gefahren nichts gewußt zu haben scheint. Auf der Station am Niobrara, die sein Ziel war, ist Henry nie angekommen. Er ist verschwunden, und seine Scouts wurden auch nicht mehr gesehen.«
    »Der eine dieser Scouts war in Wahrheit Tokei-ihto, junger Kriegshäuptling einer Dakota-Abteilung.«
    »Wie unausdenkbar grauenvoll!« Kusine Betty legte den Teelöffel mit etwas zuviel Geklapper auf die Untertasse zurück. »Diese sogenannten Scouts haben Herrn Henry umgebracht und skalpiert?«
    »Es muß nicht unbedingt ein Mord geschehen sein«, berichtigte Brown. »Wir wissen gar nichts.«
    »Aber die Munitionskolonne, die damals an den Niobrara fuhr, ist auch von den Indianern abgefangen und niedergemetzelt worden«, machte Kusine Betty sich wichtig.
    »Es war eine blutige Zeit mit täglichen Hiobsbotschaften, und wieviel Unglück und Verdacht hat sie uns doch zurückgelassen!«
    In Frau Jones wurden Erinnerungen lebendig. »Ach, Betty, weißt du noch, wie wir im Frühling in Yankton beim Tee zusammen saßen, mit Cate Smith, deiner reizenden jungen Nichte? Ihr Verlobter, Leutnant Roach, kam mit seinen Dragonern vorüber. Damals haben wir nicht geahnt, was sich in den folgenden Monaten abspielen würde!«
    »Nicht geahnt, Kitty? Ich habe immer gewußt, daß es mit meiner Nichte Cate ein schlechtes Ende nehmen müßte. Ich fand sie keineswegs reizend! Stets war sie undankbar und unaufmerksam. Wie sehr hatte ich mich bemüht, sie zu erziehen, aber der verhängnisvolle Einfluß ihres Vaters … lebt mein Neffe, Major Smith, eigentlich noch?« Die Frage war an Jones gerichtet.
    »Er ist vor kurzem auf dem Fort am Niobrara gestorben. Da er sich durch seine allzu große sogenannte Gerechtigkeitsliebe gegen die Rothäute dienstliche Verfehlungen hatte zuschulden kommen lassen, ist es sicher das beste so. Er paßte nicht in diese Welt.«
    »Friede sei mit ihm, aber er konnte auch mit Geld nie umgehen und seine Tochter nicht erziehen. Reiten, kutschieren und schießen hatte er Cate gelehrt! Kein Wunder, daß sie sich jetzt, wie ich hörte, mit einem gewissen Rauhreiter namens Adams abgegeben hat.«
    »Hoffen wir, daß Cate Smith noch unter die

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