Der Q-Faktor
I
Ich bin Tessa, und heute ist Sanfter Donnerstag. Normalerweise gibt es am Sanften Donnerstag immer so viel zu tun, daß ich zum Schreiben keine Zeit habe; heute aber ist alles anders, weil sie heute morgen An ne-Charlottes Baby fortgeholt haben. Es tut mir leid, daß sie das Baby mitgenommen haben, weil ich es sehr gern hatte. Anne-Charlotte ist so verzweifelt, daß wir alle wie gelähmt sind und nur versuchen können, ‚damit fertig zu werden.
Patrick schlug vor, daß ich alles aufschreiben sollte – ich meine, wie es sich zugetragen hat – weil ich als Jüngere nicht so von Anne-Charlotte in Mitleiden schaft gezogen werde. Wir könnten es dann gemein sam lesen und beraten, was sich dagegen unternehmen läßt. (Sicher überhaupt nichts, weil die Gesetze für Babys wie das von Anne-Charlotte sehr streng sind.) Patrick hielt es für das beste für mich, und damit ich bei der Sache bleibe, gab er mir diese zwingende Begründung. Eigentlich brauche ich keinen Ansporn mehr, denn ich bin ja schon zehn, aber er kann es sich anscheinend nicht abgewöhnen.
Jedenfalls will ich versuchen, alles genau so aufzuschreiben, wie es passiert ist, schon um Patrick eine Freude zu bereiten. Und es muß schnell geschehen, weil ich als Gedächtnisstütze nur das Logbuch mit seinen Zetteln und Notizen habe, und weil Anne-Charlotte meine Erinnerungen mit ihren Schwertern und Flammen und einer Art Fächer, der sich mit gemächlicher Würde entfaltet und zusammenschiebt, und mit viel Schwärze, einer schwarzen Wolke immer mehr zudeckt. Wenn ich mich nicht vorsehe zwischen ihren Ausbrüchen und den Bemühungen der anderen, sie zum Vergessen zu bringen, werde ich mich bald nicht mehr deutlich genug entsinnen können, um es aufzuschreiben.
Mein Aktionsradius ist noch nicht groß, und das hilft. Ich habe mich, so weit ich darf, von den Wohnkuppeln entfernt und mir einen richtig großen Anais-Kaktus mit einer roten Schirmblüte ausgesucht, die genügend Schatten spendet, und hier sitze ich nun auf einem Kaktusast mit untergeschlagenen Beinen. Er liegt weit genug entfernt, so daß nur wenig herüberdringt, bis auf die Schwärze von Anne-Charlotte, und die wird mich höchstens schläfrig machen. Glückli cherweise sind die Anais-Kakteen dornig, und so wer de ich wach bleiben.
Ich habe wirklich an diesem komischen Baby gehangen, ich habe es genau wie die anderen geliebt. Aber das ist wohl kein ordentlicher Anfang für die Geschichte, oder? Ich sollte erst ein bißchen von uns erzählen.
Wir sind jetzt einundzwanzig, eine gute Zahl, davon sieben Kinder, und wir leben zusammen in Chrysanthemenbrück. Wir sind Makluniten, und jeder kennt Makluniten, also brauche ich das nicht zu erklären. Oder doch? Patrick sagte, ich solle mir vorstellen, für jemand in weiter Ferne zu schreiben, vielleicht für jemand vom Saturn mit seinen schimmernden Ringen (so hat er es ausgedrückt); möglicherweise gibt es dort noch jemand, der von Makluniten keine Ahnung hat. Aber es soll auch nicht langweilig klingen … Was mach’ ich nun? Ich könnte ja Dinge wie Makluniten und unsere Namen und was wir essen und so weiter so dazwischenstreuen, daß sie nie zu geballt vorkommen. Dann kommt niemand von denen, für die ich es aufschreibe, in die Versuchung, Teile zu überschlagen. So könnte ich es doch schaffen.
Mit den Makluniten begann es auf der Erde, vor langer Zeit. Ich weiß nicht, wie lange es her ist. Natürlich waren wir dort nicht sehr beliebt, und so sind wir weggezogen, so weit wir konnten. Als die Raumfahrt sich fortentwickelte, sind wir immer weiter gereist und haben uns in den verschiedenen Galaxien angesiedelt. Meine Gruppe lebt auf dem Dritten Äußeren Mond; in den Sternkarten hat er die Nummer 34.922.107. Das ist kaum auszusprechen, ›drei-vier-Punkt-neun-zwei-zwei-Punkt-eins-null-sieben‹, wenn man jemandem erklären will, wo man lebt, und so haben ihn die ersten Siedler Iris getauft.
Diese ersten Siedler waren keine Makluniten und doch liebevolle Menschen, ein Herr Alhafi Fez und seine Frau vom New-York-Komplex. Frau Fez hatte eine Vorliebe für Blumen, besonders für die irdischen. (Unsere können sich bewegen und singen, und ich weiß, daß die Blumen auf der Erde nicht so entwickelt sind.) Ich finde es gut, daß ausgerechnet etwas wie Iris die Lieblingsblume von Frau Fez war. Fürchterlich, wenn es etwas so Ausgefallenes gewesen wäre wie diese Namen, die ich in Patricks dickem Panglisch-Wörterbuch gelesen habe – man kann doch
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