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Der junge Seewolf

Titel: Der junge Seewolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Frank
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ihre Körbe auf der Schulter und riefen die Preise aus. Bäckerjungen priesen Pasteten an. Es schien nichts zu geben, für das man nicht schreiend Käufer suchte. Und die Räder der Wagen polterten und quietschten.
    Nicht minder verwirrend waren die Attacken auf Nase und Auge. Der Geruch des Billingsgater Fischmarktes hatte kaum nachgelassen, da drängte sich der Gestank der Abfallhaufen, die überall auf den Straßen faulten, in die Nase. Gewürzballen und -fässer auf großen Pferdewagen lösten den Fäulnisgeruch ab, dann folgten wieder Schwaden von den Kochständen an der Uferstraße.
    »David!« riß ihn die Stimme des Onkels aus dem Starren. »Sieh dort, die London-Brücke! Breit für zwei Fuhrwerke nebeneinander und für die Verkaufsstände am Rand. Und alles aus Stein. So eine Brücke wirst du nicht oft sehen.«
    David sah zur anderen Seite auf die Brücke, die in behäbigen Bogen den Fluß überspannte: »Meine Mutter hat mir erzählt, daß sie eingeweiht wurde, als sie ein kleines Mädchen war.«
    »Nein! Du verwechselst das mit der Westminster-Brücke. Die ist vor vierundzwanzig Jahren eingeweiht worden und führt weiter westlich über den Fluß. Die London-Brücke ist uralt, ganz früher soll sie aus Holz gewesen sein. Wo jetzt schon zwei Brücken über den Fluß führen, wird sich die Stadt wohl auch auf dem Südufer ausdehnen.«
    »Wohnen Sie denn auf dem Nordufer, Sir?«
    »Komm, David, wenn wir allein sind, brauchst du nicht so förmlich zu sprechen. Ich bin doch dein Onkel, hab' dich schon einmal gesehen, als du ein Baby warst. Und jetzt erinnerst du mich sehr an deine Mutter und an meine Frau. Sag einfach Onkel William!« Dann griff er die Frage auf: »Mein Hotel ist am Westende der Fleet Street, nicht weit vom Temple. Ich bin dann näher am Verpflegungs- und am Flottenamt, mit denen ich zu tun habe, und die Admiralität ist auch nicht weit. Wenn ich einen Rechtsanwalt brauche, was im Geschäft immer mal wieder vorkommt, finde ich sie dort im Dutzend.«
    Und so erzählte der Onkel weiter, deutete auf dieses oder jenes Gebäude, bis die Kutsche am Temple nordwärts einbog, und David sog seine Umgebung überwältigt in sich hinein.
    Die Kutsche hielt. Das Schild am Haus schien einen langhaarigen Dorfköter darzustellen, aber es sollte wohl ein Löwe sein, wie das vergoldete Geschnörkel ›The Lion‹ andeutete. Ein Hausdiener öffnete den Schlag und lud sich die beiden Kisten auf, die Davids Habe enthielten.
    Der Wirt tauchte im Eingang auf: »Das ist also der Neffe aus Hannover, Euer Ehren! Ein schmucker junger Herr, nur ein bißchen spack.«
    »Es können nicht alle so rund sein wie Ihr, Rower, sonst müßten wir die Straßen verbreitern. Habt Ihr uns noch etwas zum Essen übriggelassen?«
    »Alles, was Ihr wollt, Euer Ehren, meine Frau steht schon bereit. Wir haben Stör und Schinken kalt, Lammkeule und Ochsenbrust warm, Kohl, Gurken, Kartoffeln, Salbei …«
    »Gut, gut«, wehrte der Onkel ab, »das wird schon für uns reichen. Aber erst gehen wir aufs Zimmer. Zeigt dem jungen Herrn seine Kammer, und wir spülen uns die Hände ab.«
    Als David seine Mahlzeit gegessen hatte, mit einiger Vorsicht erst, dann trotz des ungewohnten Geschmacks einiger Zutaten mit jungem Heißhunger, antwortete er auf die Frage seines Onkels: »Danke, Sir, es hat mir sehr gut geschmeckt. Aber der Pudding war gar nicht so süß wie bei uns. Was war denn drin?«
    »Das darfst du mich nicht fragen. Ich bin nicht einer von den weibischen Fatzken, die sich über Rezepte unterhalten können. Aber Pudding ist bei uns kein Zucker- und Schokoladenzeug wie auf dem Kontinent, sondern Fleisch, Gemüse und so etwas. Deine Tante kann dir mehr darüber sagen. Aber nun will ich einiges von dir wissen!«
    Und er fragte ihn mit der Bestimmtheit aus, die ihm nötig erschien, da er jetzt doch für einige Monate erzieherische Verantwortung zu tragen hatte. Und David erzählte von seiner Jugend im verträumten Stade, von dem großen Haus am Marktplatz, von den Kutschfahrten, wenn er seinen Vater bei Patientenbesuchen begleiten konnte, von den Bubenstreichen und den Bootsfahrten mit den Fischern auf der Elbe, von den zwei Besuchen in Hamburg.
    »Aber du wirst dich ja nicht nur vergnügt haben«, unterbrach der Onkel den mit leichtem Heimweh gefärbten Bericht. »Was hast du denn gelernt? Englisch kannst du ja ganz passabel, kaum einen leichten Akzent hört man.«
    »Meine Mutter hat immer mit mir geübt«, und David sprach schnell weiter, um

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