Freibeuter der Liebe
PROLOG
Lady Mary Bingham hatte in den zwanzig Lenzen ihres jungen Lebens noch nie so ein Prachtexemplar der männlichen Spezies zu Gesicht bekommen wie den Mann, der jetzt die Hand ausstreckte, um ihr an Bord zu helfen. Pirat oder nicht, Vasco Ramirez brachte jede Faser ihres Körpers zum Prickeln. Seine strahlend blauen Augen, von derselben Farbe wie der tropische Ozean, der die Riffe umsäumte, berührte etwas in ihr, von dessen Existenz sie bislang nichts geahnt hatte.
Dessen Existenz sie jedoch nicht länger leugnen konnte.
Hätte sie zu Ohnmachten geneigt, wäre dies wohl ein passender Moment gewesen. Doch sie fand die Gepflogenheit ermüdend und erlaubte sich nicht einmal weiche Knie. Frauen, die ständig hysterische Anfälle hatten und alle zwei Sekunden nach Riechsalz verlangten – wie ihre Tante –, waren für sie keine Vorbilder.
Ihr stockte der Atem, während Vasco Ramirez mit seinen schönen, von dunklen Wimpern umrahmten Augen unverhohlen jeden Zentimeter ihres Körpers studierte. Als er den Blick wieder auf ihr Gesicht richtete, bestand kein Zweifel, dass ihm gefiel, was er gesehen hatte. Mit dem Daumen strich er sanft über die Haut auf ihrem Unterarm, und sie erschauerte.
In sein sonnengebräuntes, exotisches Gesicht blickend, wusste sie, dass sie Angst haben sollte. Offenbar war sie vom Regen in der Traufe gelandet.
Doch seltsamerweise hatte sie keine Angst.
Nicht einmal, als sein Blick auf die milchweiße Haut fiel, wo ihr Puls wild gegen ihren Hals schlug. Oder tiefer, wo ihre Brüste gegen den engen Stoff ihres Mieders drängten. Es löste keine Angst in ihr aus, dass er ihren Busen, der sich aufgeregt hob und senkte, so eingehend betrachtete – doch was es in ihr auslöste, bot durchaus Grund zur Angst.
Ihr Onkel, der Bischof, hätte ihn als Handlanger des Teufels bezeichnet. Ein Mann, der unschuldige Damen zur Sünde verführte, doch seltsamerweise war sie zum ersten Mal in Versuchung. Der Gedanke war prickelnd, und sie sog scharf die Luft ein, verärgert, dass dieser Freibeuter so eine bestürzende Wirkung auf sie hatte.
Schließlich war er ein Pirat wie jeder andere.
Empört blickte Mary auf seinen Daumen. „Lassen Sie mich sofort los“, befahl sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Ramirez’ Lächeln war mindestens so charmant wie unverschämt. „Wie Sie wünschen“, murmelte er. Er beugte sich über ihre Hand, sodass sie seinen Atem an den zarten Knochen ihres Handgelenks und ihrer Handinnenfläche spürte, fuhr mit den Fingern an den blauen Adern ihres Unterarme entlang und gab sie frei.
Lady Mary schluckte. „Ich bestehe darauf, dass Sie mich umgehend zu meinem Onkel zurückbringen.“
Vasco bewunderte ihren Schneid. Das Mädchen, das kaum dem Teenageralter entwachsen war, mochte ihm fest in die Augen schauen, doch er konnte ihre Angst riechen, wie es nur ein Veteran hunderter Beutezüge auf offener See vermochte.
Der Herr allein wusste, wie es ihr in den zwei Tagen ergangen sein mochte, die sie sich in der Gewalt von Juan del Toro und seiner Mannen befunden hatte. Doch etwas sagte ihm, dass dieses verwöhnte englische Fräulein sich zu wehren wusste.
Und für Jungfrauen gab es auf den Sklavenmärkten viel Geld.
„Wie Sie wünschen“, wiederholte er.
Argwöhnisch verengte Mary den Blick. „Sie kennen meinen Onkel? Wissen Sie, wer ich bin?“
Er lächelte. „Sie sind Lady Mary Bingham. Der Bischof hat mich beauftragt, Sie zu … Sie zu finden.“
Zum ersten Mal seit zwei Tagen sah Mary ein Ende des Albtraums, der mit ihrer Verschleppung vor achtundvierzig Stunden unten am Kai begonnen hatte, und fast wäre sie auf den feuchten Planken zu seinen Füßen gesunken. Sie hatte ihre Entführer von Sklavenmärkten reden hören und sich zu Tode gefürchtet.
Doch leider gehörte sich für eine junge Dame aus gutem Hause nicht, einem Piraten zu Füßen sinken, selbst wenn er im Auftrag ihres Onkels handelte. „Danke“, sagte sie höflich. „Ich bin Ihnen zutiefst dankbar für ihre schnelle Hilfe. Juan del Toros Männer wissen nicht, wie man eine Dame behandelt.“
„Danken Sie mir nicht zu früh, Lady Bingham.“ Er lächelte stählern. „Es liegen viele Meilen zwischen hier und Plymouth, und am Ende kümmert es meine Männer vielleicht weniger, dass Sie eine Dame sind, und vielmehr, dass Sie eine Frau sind.
Arrogant zog Mary die Augenbrauen hoch, in der Hoffnung, über ihren rasenden Puls hinwegzutäuschen. „Und Sie würden Ihrer Mannschaft so
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