Der Junker von Ballantrae
den Fingern, während sein Atem stoßweise über die Lippen strich. Als er sich seitwärts beugte, sah ich das Gesicht des Junkers völlig entblößt vor mir. Es wartotenbleich, die Augen waren geschlossen, die Ohren und Nasenlöcher verstopft, die Wangen eingefallen, die Nase scharf wie bei einem Toten. Aber obgleich er viele Tage unter der Erde gelegen hatte, war die Zersetzung noch nicht eingetreten, und was uns alle seltsam berührte, seine Lippen und sein Kinn waren mit einem schwarzen Bart bedeckt.
»Mein Gott!« rief Mountain aus. »Als wir ihn hier niederlegten, war er glatt wie ein Säugling!«
»Man sagt, daß den Toten das Haar wächst«, bemerkte Sir William, aber seine Stimme war belegt und leise.
Secundra achtete nicht auf unsere Bemerkungen, sondern warf rasch wie ein Terrier die weiche Erde heraus. Mit jedem Augenblick hob sich die Gestalt des Junkers, eingehüllt in das Büffelfell, bestimmter auf dem Grund der engen Höhlung ab. Der Mond leuchtete stark, und die Schatten der Umstehenden glitten, wenn sie näher kamen oder sich entfernten, über diese Gestalt, die aus der Erde auftauchte. Der Anblick erfüllte uns mit Entsetzen, wie wir es bisher noch nicht erlebt hatten. Ich wagte nicht, dem Lord ins Gesicht zu sehen, aber solange es dauerte, konnte ich nicht hören, daß er Atem holte, und ein wenig hinter uns brach einer der Leute – ich weiß nicht wer – in eine Art Schluchzen aus.
»Jetzt, jetzt!« sagte Secundra. »Ihr helfen ihn herausheben!«
Ich habe keine Vorstellung von der Länge der Zeit, die verstrichen war. Es mögen drei Stunden, es mögen auch fünf gewesen sein, die der Inder sich abmühte, denKörper seines Herrn ins Leben zurückzurufen. Ich weiß nur eins: es war noch Nacht, der Mond war noch nicht untergegangen, obwohl er schon tief stand und die Hochebene jetzt mit langen Schatten umgab, als Secundra einen winzigen Schrei der Genugtuung ausstieß. Ichbeugte mich rasch vor und glaubte mit eigenen Augen eine Veränderung in dem eisigen Gesicht des Wiederausgegrabenen wahrnehmen zu können. Im nächsten Augenblick sah ich seine Augenlider zittern, dann hoben sie sich völlig, und der Leichnam, der eine Woche alt war, blickte mir eine Sekunde ins Gesicht.
Diese Lebenszeichen kann ich persönlich beschwören. Andere haben mir erzählt, daß er sich offenbar anstrengte zu sprechen, daß seine Zähne unter dem Bart sichtbar wurden, und daß seine Stirn wie von Todesqual und Anstrengung zusammengezogen war. Und das mag richtig sein; ich weiß es nicht, denn ich war mit anderen Dingen beschäftigt. Als die Augen des toten Mannes sich zum erstenmal öffneten, fiel Lord Durrisdeer zu Boden, und als ich ihn aufhob, war er eine Leiche.
Der Tag brach an, und noch immer war Secundra nicht zu bewegen, seine vergeblichen Bemühungen einzustellen. Sir William ließ eine kleine Abteilung unter meinem Befehl zurück und zog mit dem ersten Morgengrauen von dannen, um seinen Auftrag zu vollführen. Noch immer rieb der Inder die Glieder des toten Körpers und hauchte ihm in den Mund. Man hätte annehmen sollen, daß so viel Mühe einen Stein lebendig machen konnte, aber mit Ausnahme des einen Augenblickes, der den Tod meines Herrn herbeiführte, hielt sich der finstere Geist des Junkers von dem verlassenen Körper fern, und gegen Mittag ließ sich auch der treue Diener schließlich überzeugen. Er nahm alles mit unerschütterlicher Ruhe hin.
»Zu kalt«, sagte er, »gutes Mittel in Indien, hier nicht gut.«
Er bat mich um etwas Essen, das er gierig verschlang, sobald es ihm gereicht war. Dann zog er sich zum Feuer zurück und nahm an meiner Seite Platz. Auf demselben Fleck streckte er sich, sobald er gegessen hatte, aus und fiel in kindlichen Schlaf, aus dem ich ihn einige Stunden später wecken mußte, damit er als einer der Leidtragenden an dem Doppelbegräbnis teilnehmen konnte. Es war immer dasselbe: er schien mit einem Schlage den Schmerz um den Verlust seines Herrn und seine Furcht vor mir und Mountain abgestreift zu haben.
Einer der Leute, die bei mir blieben, war ein gelernter Steinmetz, und bevor Sir William zurückkehrte, um uns abzuholen, hatte ich auf einem Felsblock eine Inschrift aushauen lassen, die ich hier wiedergeben will, um meine Erzählung würdig zu beschließen:
J. D.
Erbe eines schottischen Titels,
Ein Meister der Künste und ein Weltmann,
Bewundert in Europa, Asien, Amerika,
Im Kriege und im Frieden,
In den Zelten wilder Jäger und den Schlössern
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