Der Junker von Ballantrae
Erstes Kapitel: Die Ereignisse während der Irrfahrten des Junkers
Die volle Wahrheit über diese sonderbaren Ereignisse hat die Welt lange erwartet, und die öffentliche Neugier wird sie sicher willkommen heißen. Es fügte sich, daß ich auf das innigste mit den letzten Jahren und mit der Geschichte des Hauses verknüpft war, und es lebt kein Mensch, der gleich mir imstande wäre, diese Dinge klarzustellen, und gleichzeitig so begierig, sie wahrheitsgemäß zu erzählen. Ich kannte den Junker; über viele Einzelheiten seines Lebenslaufes habe ich authentische Berichte zur Hand; ich segelte mit ihm fast allein auf seiner letzten Reise; ich machte jene Winterfahrt mit, von der so manche Gerüchte ins Ausland gelangten, und ich war anwesend beim Tode des Mannes. Was meinen verstorbenen Lord Durrisdeer anlangt, so diente ich ihm ungefähr zwanzig Jahre und liebte ihn. Ich schätzte ihn um so mehr, je genauer ich ihn kennenlernte. Alles in allem glaube ich, daß es nicht richtig wäre, wenn so viele persönliche Zeugnisse verlorengingen; die Wahrheit ist eine Schuld, die ich dem Andenkenmeines Lords abzutragen habe, und ich glaube, meine alten Tage werden ruhiger dahinfließen und mein weißes Haar wird leichter auf den Kissen ruhen, wenn diese Dankespflicht erfüllt ist.
Die Duries von Durrisdeer und Ballantrae waren eine angesehene Familie im Südwesten seit den Tagen Davids I. Ein Vers, der noch jetzt in dem Lande bekannt ist:
Die Duries waren ein tapfres Geschlecht,
Sie ritten mit Speeren in manches Gefecht!
trägt das Kennzeichen des Alters. Und der Name erscheint auch in einer anderen Strophe, die man allgemein Thomas von Ercildoune selbst zuschreibt. Ich weiß nicht, wie weit das stimmt und mit welchem Recht manche diese Verse auf die Ereignisse meiner Erzählung beziehen:
Zwei Duries von Durrisdeer –
Der eine ins Feld, der andre getraut:
Ein böser Tag für den Freiersmann,
Ein grausiger für die Braut.
Auch ist die amtliche Geschichtsschreibung voll von ihren Taten, die nach unserer heutigen Denkungsweise nicht sehr lobenswert erscheinen. Die Familie hatte ihren vollen Anteil an den Glücks- und Unglücksfällen, denen die berühmten Häuser Schottlands von jeher unterworfen waren. Aber alles das überschlage ich, um zu jenem bemerkenswerten Jahre 1745 zu gelangen, in dem der Grund zu dieser Tragödie gelegt wurde.
Zu jener Zeit lebte im Hause von Durrisdeer nahe St. Bride am Ufer des Solway eine Familie von vier Personen. Das Haus war der Hauptsitz des Geschlechtes seit der Reformation. Mein alter Lord, der achte seines Namens, war noch nicht hochbetagt, aber er litt frühzeitig unter den Unzuträglichkeiten des Alters. Sein Platz war an der Seite des Kamins, wo er in einem gefütterten Hausrock lesend saß. Er richtete wenige Worte an die Menschen und niemals ein verletzendes an irgend jemand, er war das Vorbild eines alten zurückhaltenden Hausherrn. Und doch war sein Geist wohlgenährt mit Studien, und man schätzte ihn in dem ganzen Gebiet für klüger ein, als er sich den Anschein gab. Der Erbe oder Junker von Ballantrae, in der Taufe James genannt, erbte von seinem Vater die Liebe zu ernsthaften Büchern und daneben auch einiges von seinem Taktgefühl; aber was beim Vater wirkliche Klugheit war, wurde beim Sohn schwarze Heuchelei. Sein Benehmen nach außen kann man nur als gemein und wüst bezeichnen: er saß bis in die späte Nacht bei Wein und Karten und hatte in der ganzen Gegend den Ruf eines Mannes, der jungen Mädchen gefährlich sei. Bei allen Zusammenstößen war er an erster Stelle, aber wenn er auch immer in der vordersten Front war, zog er sich doch immer vorteilhaft aus der Affäre, und seine Genossen bei losen Streichen mußten gewöhnlich die ganze Zeche bezahlen. Dies Glück oder vielmehr diese Verschlagenheit trug ihm manches Übelwollen ein, aber bei dem Rest der Bevölkerung erhöhte es sein Ansehen, so daß man große Dinge von ihm erwartete in derZukunft, wenn er reifer geworden wäre. Er hatte einen recht schwarzen Fleck auf seinem Namen, aber die Sache wurde damals vertuscht und durch Legendenbildung so entstellt, bevor ich dorthin kam, daß ich mich scheue, sie hier zu erzählen. Es ist wahr, für einen so jungen Menschen war es eine verabscheuungswürdige Tat, und wenn die Gerüchte falsch sind, war es eine niedrige Verleumdung. Ich betrachte es als bemerkenswert, daß er sich stets brüstete, er sei unversöhnlich. Man nahm ihn beim Wort, so daß er zu allem Überfluß
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