Der Kalligraph Des Bischofs.
beteten sie nicht auch zu ihren düsteren Götzen um eine ruhige, schnelle Hand? Natürlich, sie waren verloren,
und in der Hitze der Hölle würden sie ihre Sünden in alle Ewigkeit bereuen. Aber sie waren ein Teil von Turin wie die schmutzigen
Kinder auf der Straße, und sie kämpften um |398| die gleiche Schüssel Getreidebrei, die auch die anderen Bürger am Leben erhielt.
Wie gleich wir Menschen doch sind. Und böse seit Adams und Evas Fehltritt.
»Vergeßt es, was auch immer Ihr sagen wollt. Der Legat wird sein Urteil fällen.«
Biterolf schoß in die Höhe. Godeoch hatte den Raum betreten, und mit ihm war ein Geruch von Straßenstaub und Pferdeschweiß
hereingeweht. Der Graf löste den Gürtel von seiner Hüfte, lehnte das Schwert an die Wand. »Das ist es doch, weshalb Ihr mich
sprechen wollt, oder?«
»Es geht das Gerücht, Ihr habt eine Klageschrift gegen Claudius verfaßt und sie von namhaften Männern siegeln lassen.«
»Und? Dann reden die Leute das eben.«
»Was wäre, wenn ich sie ebenfalls unterzeichnete?«
Godeochs Hand, mit der er sich eben noch den hellen Staub von der Kleidung geklopft hatte, verharrte in der Luft. Er schob
den Kopf nach vorn, begutachtete Biterolf mit zusammengekniffenen Augen. Dann schüttelte er lächelnd den Kopf. »Ihr erstaunt
mich. Wirklich. So seid Ihr also zur Einsicht gelangt.«
»Ja.«
Das Lächeln verschwand. »Die Klageschrift gebe ich Euch trotzdem nicht in die Hand.«
»Wenige kennen die Worte des Bischofs so gut wie ich. Es würde die Sache glaubwürdiger machen.« Biterolf sah Godeochs Mund
schmal werden. »Noch glaubwürdiger, als sie jetzt schon ist«, setzte er nach.
»Vielleicht habt Ihr recht.«
Wenig später stand Biterolf über eine große Pergamentseite gebeugt und las. Dicht neben seinem Ohr raunte der Graf: »Laßt
Euch nicht einfallen, sie zu zerreißen. Meine Klinge ist schnell.«
»Ich weiß.« Biterolf fror, während seine Augen über die Zeilen glitten und er den Griff der Worte spürte, dem sich sicher
auch der Legat nicht entziehen würde:
|399|
»Godeoch, Graf zu Turin, in aller Demut. Ist das Amt eines comes nicht dem eines geistlichen Hirten gleich, so bedeutet es
doch eine ähnliche Verantwortung vor Gott für den anvertrauten Acker. Claudius, als Bischof in Turin eingesetzt, wirft Unkraut
auf diesem Lande aus und erstickt mit wuchernden Dornen die Samen der Wahrheit. Deshalb tun wir unserem Vater Paschalis in
Rom folgendes kund:
1
. Es ist wahr, daß Claudius einer neuen Sekte gegen den allgemeinen Glauben predigt.
2
. Es ist wahr, daß er mit eigener Hand die Bilder und das Kreuz der Bischofskirche zerstört hat.
3
. Wir bezeugen: Claudius verkündigt, man sollte die Lebenden anbeten anstelle der Toten. Die Toten seien wie Stein und Holz.
4
. Wir bezeugen: Claudius verkündigt, wenn das Kreuz angebetet wird, müssen auch Krippen im Stall angebetet werden, weil Christus
in einer Krippe geboren wurde.
5
. Wir bezeugen: Claudius hat einzelne Turiner aufgefordert, nicht für die Vergebung ihrer Sünden nach Rom zu pilgern. Er hat
weiterhin behauptet, nach dem Tod des Apostels Petrus sei sein Amt nicht allein auf den Bischof von Rom, sondern auf alle
Bischöfe übergegangen.
Damit derartige Verwirrungen nicht weiter die Herzen der Einfältigen anstecken, bitten wir, den Frevelhaften seines Amtes
zu entheben und zum Widerrufen seiner Lehren sowie zur Unterwerfung unter die allgemeine Kirche zu zwingen.
Gegeben zu Turin, im
6
. Jahr der Herrschaft Ludwigs, in der
13
. Indiktion,
820
Jahre nach der Geburt unseres Herrn Jesus Christus.
Abt Dructeramnus von Saint-Chaffre
Abt Iustus von Charroux
Suppo, Graf zu Brescia und Spoleto
Godeoch, Graf zu Turin«
|400| Neben die Namen waren Kreuze gezeichnet, schmal, hoch, mit verzierten Enden. Und vom unteren Ende der Schrift hingen an Pergamentstreifen
Siegel herab, schwere Wachsgewichte, wie Steine, die den Verurteilten auf den Grund eines Flusses hinabziehen sollten.
»Was zögert Ihr so lange? Schreibt!«
Biterolf griff nach der Feder, tunkte sie ein, wieder und wieder, als wollte die Tinte nicht haften.
Mein Zeichen auf diesem Pergament kann Claudius’ Ende bedeuten.
Er hob den Kiel aus dem Fäßchen, hielt ihn so fest in den Fingern, daß die weiße Fahne am oberen Ende zitterte.
»Nun kommt! Ihr zweifelt doch nicht etwa? Nehmt Abstand von seinen Lehren. Niemand wird Euch einen Vorwurf machen.«
Gern hätte Biterolf das
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