Der Kalligraph Des Bischofs.
aufgeweichte Holz. Hocherfreut
öffnete er, und tatsächlich patschten Farros Pfoten in die Schreibstube. Das Tier schüttelte sich, und Biterolf ließ sich
gerne naß spritzen. Dann wandte es sich schwanzwedelnd der gewohnten Umgebung zu. Biterolf aber stand eine ganze Zeit still.
Er rang nach Worten.
Hinter Farro war ein bis auf die Haut nasser Mann in den Raum getreten. Als er Biterolfs Reglosigkeit sah, löste er die Tür
aus dessen Hand und schloß sie selbst. »Du hast nicht damit gerechnet, mich so bald wiederzusehen?« Die gelbbraunen Eulenaugen
drangen fragend in Biterolfs Gesicht. Germunt war mager, die Wangen eingefallen, aber seine Augen glühten wie im Fieber.
»Bist du von Sinnen? Was machst du hier?«
|395| »Ich hoffe doch, trocken werden.«
»Wenn Claudius dich sieht –«
»Er wird mich nicht zu Gesicht bekommen.«
Biterolf beugte sich tief in eine Truhe und brachte eine Decke zum Vorschein. »Hier, wickel dich ein, damit du nicht frierst.«
»Auf der habe ich schon geschlafen, richtig?«
»Ja. Wo ist Stilla?«
»Stilla liegt hoffentlich in einer warmen Stube und schmiegt sich in ihr Bettlager.«
Hoffentlich?
Biterolf musterte Germunt kritisch.
»Keine Sorge. Was ist mit dem Wagen da draußen – ist der Legat schon da?«
»Ja. Und jetzt, wo ich ihn gesehen habe, zerbröckeln mir meine kleinen Rettungspläne wie loses Mauerwerk in den Händen. Die
Langobarden sollten in die Kirche kommen, um zu beten. Ha! Er wird keine Gnade kennen.«
»Deshalb bin ich hier. Wir werden ihn auf eine ganz besondere Art überzeugen.«
»Was willst du tun?«
Germunt sah an Biterolf vorbei, als stünde hinter ihm jemand. »Zunächst werde ich morgen früh vor Sonnenaufgang in die Kirche
gehen und Gott um Unterstützung für mein Vorhaben bitten.«
Er fühlt solche Dankbarkeit gegenüber dem Bischof, daß er nicht anders kann, als seinen Hals für ihn zu riskieren,
dachte Biterolf gerührt. Dann fiel ihm jäh die ganz in Leder gekleidete Gestalt ein. »Germunt, was war das damals für ein
Mann, der dich begleitet hat, als du als altes Weib verkleidet warst?«
Einen Moment schien Germunt nachzusinnen. »Du meinst den Jäger? Otmar ist sein Name.«
»Er muß dich verraten haben. Ich habe heute beobachtet, wie er mit einem der Franken geredet hat.«
Germunt schüttelte lächelnd den Kopf. »Das ist unmöglich.«
|396| »O doch, diese zwei Augen haben es gesehen.« Biterolf zielte mit Zeigefinger und Mittelfinger auf seine Pupillen. »Der Franke
hat ihm auch einen prallen Ledersack gegeben. Wenn das das Wergeld des Bischofs war …«
»Ich kann nicht glauben, daß Otmar für sie arbeitet. Er hätte mich schon bei einer früheren Gelegenheit verraten können.«
»Und wieso wußten die Büttel, daß du dich als bucklige Alte verkleidet hast? Nicht einmal ich habe dich erkannt. Sei vorsichtig,
hörst du?«
»Ja, das werde ich sein. Schon allein deswegen, weil die Rächer noch in der Stadt sind. Kein gutes Zeichen ist das.«
»Mich macht es auch unruhig. Was morgen früh angeht: Am besten gehen wir beide beten.«
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|397| 28. Kapitel
Mit einem Geräusch, das irgendwo zwischen Brummen und Seufzen lag, ließ sich Biterolf auf eine von Godeochs Truhen niedersinken.
Leise knirschte der Deckel unter seinem Gewicht. Die Truhe stand an der Wand neben der einzigen Fensteröffnung im Raum; wenn
er sich nach vorn lehnte und auf dem steinernen Sims abstützte, konnte Biterolf auf die Straße hinabschauen. So sah die Stadt
also aus, wenn man aus dem Palast des Grafen blickte. Da zogen die Turiner ihre Handkarren, schleppten ihre Kiepen und Bündel,
sponnen ihr Garn, webten ihr Tuch, färbten es und schnitten es zurecht. Da fütterten sie ihre Tiere, trieben sie zum Markt.
Da erhitzten sie ihre Eisenspangen, bogen sie zurecht und spannten sie auf ein Rad, das dann wieder an einen Handkarren gebaut
werden konnte, in dem man neue Waren heranschaffte. Kämpfte nicht jeder nur um sein Überleben, um die dampfende Schüssel Getreidebrei
auf dem Tisch, für morgen und übermorgen?
Natürlich gab es zwischen den rechtschaffenen Turinern Bettler, Beutelschneider und anderes zwielichtiges Gesindel. Aber versuchten
nicht auch die Bettler, beim Rufen um Almosen die richtige Tonlage zu treffen, den Vorbeilaufenden das Zittern und Husten
jeden Tag besser vorzugaukeln? Stand den Beutelschneidern nicht auch der Schweiß auf der Stirn, wenn sie sich an ihr Opfer
heranpirschten, und
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