Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
unmittelbar einleuchtend erscheint, daß es Eingang in viele Darstellungen gefunden hat, erweist sich bei näherem Hinsehen als nicht zutreffend. Für die Auffassung spricht, daß sich an seinem Beginn und im folgenden grundsätzlichen Konflikt zunächst zwei «Supermächte» gegenüberstanden, die sich durch unvereinbare, absolut gesetzte Ideologien und ihre unbestreitbare Hegemonie in den jeweiligen Bündnisblöcken auszeichneten. Zu «Supermächten» wurden sie allerdings erst durch die Verbindung mit militärischer Macht: Die Unterhaltung großer, mobiler und ständig global einsatzbereiter Armeen sowie der Besitz und der ständige Ausbau von immer stärkeren Nuklearwaffen mit Erst-, Zweitschlag- und Overkill-Kapazitäten ließen die USA und die UdSSR nahezu unangreifbar werden. Andere ehemalige «Großmächte», selbst wenn sie wie Frankreich oder England im Besitz von Atomwaffen waren, schrumpften im Vergleich dazu zu Nationen mittlerer Stärke. Gestützt wurde das Bild eines Zweikampfs zusätzlich dadurch, daß bereits der Ost-West-Konflikt, aber insbesondere auch die beiden Weltkriege als Auseinandersetzung zweier Blöcke betrachtet worden waren. Auch innenpolitisch bot die simplifizierende Darstellung Vorteile. Die sowjetische Vorstellung der «Zwei Lager» war ebenso eingängig wie die im Westen gängigen Antagonismen «Freiheit» und «Unfreiheit» oder «Demokratie» und «Diktatur». Nicht zuletzt drängten die Supermächte auf die bipolare Zuordnung und insbesondere auf den Abschluß von globalen Bündnissen, da Neutralität oder gar Blockfreiheit als Ausdruck politischer Unzuverlässigkeit galt.
Gegen die Auffassung, daß der Kalte Krieg eine rein bipolare Auseinandersetzung war, spricht am deutlichsten, daß dies schon wenige Jahre nach dem offiziellen Beginn des Kalten Krieges 1947 nicht mehr der Realität entsprach. Als eine dritte, jedoch neben den Hauptkontrahenten sekundäre Macht konnte sich das kommunistische China etablieren, welches sich rasch westlichem, dann auch Moskaus Einfluß entzog und darüber hinaus versuchte, die Blockfreienbewegung (Nonaligned Movement, NAM) zu dominieren. 1964 stieg Peking in den Kreis der Atommächte auf und konnte 1967 sogar seine erste Wasserstoffbombe zünden - fast ein Jahr vor Frankreich. Aber auch der 1954/55 entstandenen Blockfreienbewegung gelang es, sich als ein Pol in der Weltpolitik zu etablieren. Die NAM-Staaten konnten über Jahre erfolgreich zwischen den drei anderen Blöcken arbeiten und in der zweiten Hälfte des Kalten Krieges sogar zeitweilig den Ölpreis wirkungsvoll als Waffe einsetzen. Inwieweit man die UNO als eigenen Machtblock im Kalten Krieg begreifen kann, ist ebenso erklärungsbedürftig. 30 Die von den Siegermächten bis zum Juni 1945 in San Francisco verabredeten gemeinsamen Grundlagen einer «Weltregierung» wurden rasch von den nationalen Interessen und dem Machtpoker der Supermächte eingeholt. Die Generalversammlung präsentierte sich in der Öffentlichkeit häufig eher als Bühne für den effektvollen Schlagabtausch der Supermächte, weniger als machtvoller Akteur. Trotz aller Schwächen präsentierten sich die Vereinten Nationen aber jeweils dann als wirkungsvoller Machtblock im Kalten Krieg, wenn sich ihre jeweiligen Generalsekretäre als starke
Persönlichkeiten erwiesen. Dies zeigte sich 1950 im Koreakrieg, 1956 während des Suezkonflikts oder 1990/91 im Krieg gegen den Irak. Die Grenzen des Engagements wurden hier durch den chronischen Geldmangel der Vereinten Nationen gesetzt.
Außer der Tatsache, daß zumindest vier oder fünf «Blöcke» des Kalten Krieges auszumachen sind, widerspricht es dem Bild der schlichten Bipolarität, daß sich innerhalb der einzelnen Blöcke oder auch blockübergreifend transnationale, nationale und innerstaatliche Subsysteme herauskristallisierten, die den Verlauf des Kalten Krieges zeitweilig erheblich beeinflußten. Sie paßten kaum mehr in das Schema klarer dualistischer Konfrontation, wenngleich sie natürlich alle auf irgendeine Weise direkt oder indirekt mit dem Hauptkonflikt verbunden blieben. Als Beispiel kann man hier die gesamtdeutsche Politik nennen, die zeitweilig erstaunlich unberührt von der Interessenlage der Supermächte eigene Wege verfolgte und schließlich erheblichen Einfluß auf den Verlauf des globalen Konflikts gewann. So fand ein Teil der Entspannungspolitik ihren Ursprung viel deutlicher in den nationalen Interessen des deutsch-deutschen Sonderkonflikts als im
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